Drachenlied
Stimme leicht - »Brekke hat mir beigebracht, wie man klebrige Verbände ablöst, weil ich... ach du liebe Güte, wie sieht das aus! Verzeih, das wollte ich nicht sagen, aber es stimmt. Keine Angst, das kommt in Ordnung. Manora hat es gesagt.« Das klang so zuversichtlich, dass Menolly selbst daran zu glauben begann. »Eine Wunde von Fädenknäueln dagegen - das ist schlimm. Heilt schlecht und hinterlässt Narben. Du hast die Haut völlig zerfetzt, das ist alles - na ja, ich kann mir schon denken, dass es dir reicht. Ein Glück, dass T’grans Branth dich entdeckte. Drachen haben nämlich enorm scharfe Augen. So, das tut gut...«
Menolly stieß einen kleinen Schrei aus, als Mirrim ihr kühle Heilsalbe auf die rechte Sohle strich. Sie hatte die Zähne in die Unterlippe gegraben, während Mirrim mit wirklich sanften Händen die blutdurchtränkten Verbände löste, aber die Schmerzbetäubung traf sie dann fast wie ein Schock. Wenn wirklich nur die Haut abgegangen war, weshalb tat das dann viel mehr weh als der Schnitt in die Hand?
»So, jetzt noch den linken Fuß. Die Salbe hilft, nicht wahr? Aber musstest du das Zeug je einkochen?« Mirrim stöhnte. »Drei Tage lang beiße ich einfach die Zähne zusammen und sage mir vor, dass wir ohne Heilsalbe viel schlimmer dran wären. Das hat uns Manora geraten. Aber freu dich - ich sehe nicht die kleinste Infektion...«
»Infektion?« Menolly riss den Kopf hoch und versuchte, einen Blick auf ihre Fußsohlen zu werfen.
»Halt still!« Mirrim sagte das so bestimmt, dass Menolly sich wieder flach auf den Bauch legte. »Und das ist ein Riesenglück, denn in den Wunden waren Sand, Schmutz und einiges an Splittern. Wir brauchten eine halbe Ewigkeit, bis wir das Zeug herausgewaschen hatten.« Mirrim lachte leise. »Ein Glück, dass du da betäubt warst!«
»Du bist völlig sicher, dass es diesmal keine Infektion geben wird?«
»Was heißt da diesmal? Machst du so was denn öfter?« Mirrims Stimme klang entsetzt.
»Nein, das nicht - aber meine Hand.« Menolly drehte sich zur Seite und streckte die verkrüppelte Hand aus. Sie stellte besorgte Anteilnahme in Mirrims Zügen fest und das tat ihr gut.
»Wie hast du denn das geschafft?«
»Ich musste Stachelschwänze ausnehmen und dabei rutschte das Messer ab.«
»Ein Glück, dass die Sehnen heil geblieben sind.«
»Heil?«
»Na ja, du kannst doch die Finger bewegen. Obwohl die Narbe ganz schön zieht.« Mirrim schüttelte mit Kennermiene den Kopf. »Eine tüchtige Heilerin scheint ihr auf eurer Burg nicht zu haben - wenn das ein Beispiel ihrer Kunst ist.«
»Stachelschwanzschleim ist schlimm. Wenn eine offene Stelle damit in Berührung kommt, heilt sie fast so schlecht wie eine Sporenwunde«, murmelte Menolly. Sie begriff selbst nicht, weshalb sie ihre Burg verteidigte.
»Mag schon sein.« Mirrim strich noch einmal kritisch über den frischen Verband. »Bei unserer Pflege behältst du jedenfalls keine solchen Narben zurück. Ich hol dir jetzt etwas zu essen. Sicher bist du halb verhungert.«
Nun da die Füße nicht mehr schmerzten, spürte Menolly in der Tat ein großes Loch im Magen.
»Ich komm gleich wieder, Menolly, und wenn du etwas brauchst, ruf einfach nach Sanra. Sie versorgt draußen die Kleinen, und sie weiß, dass sie auf dich achten soll.«
Während Menolly die üppige Mahlzeit verzehrte, die Mirrim ihr ans Bett gestellt hatte, dachte sie über ein paar harte Wahrheiten nach. Mavi hatte ihr stets erklärt, dass die Hand in Zukunft steif bleiben würde. Aber Mavi war eine so geübte Heilerin, dass sie wissen musste, ob die Fingersehnen durchtrennt waren oder nicht. Sie hatte die Wunde absichtlich so zusammenwachsen lassen, dass die Narbe spannte. Menolly wurde eines schmerzhaft klar: Ihre Mutter hatte, wohl beeinflusst von Yanus, mit Absicht verhindert, dass sie wieder spielen konnte.
Dumpf schwor sich Menolly, dass sie nie, nie wieder in die Halbkreis-Bucht zurückkehren würde. Sie bezweifelte, ob sie für immer im Benden-Weyr bleiben konnte; Manora hatte ihr zwar die Gastfreundschaft angeboten, aber wie lange galt das? Nun, im Notfall konnte sie wieder weglaufen. Und ganz allein leben. Jawohl, genau das würde sie tun. Der Gedanke gefiel Menolly. Wer sollte sie beispielsweise daran hindern, zur Gilde der Harfner zu laufen? So weit weg lag der Fort-Weyr auch nicht. Vielleicht hatte Petiron ihre Lieder doch an den Meisterharfner geschickt. Vielleicht waren sie doch mehr als Singsang. Vielleicht... vielleicht.
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