Drachenlied
Moorwiesen und Strände abzusuchen. Die Fäden konnten sich ins Sumpfgras wühlen oder in die Wurzeln der Moosbeeren und Strandpflaumensträucher - bis alles Grün vertilgt und die Küste so nackt wie der Fels war.
Draußen herrschte raues Wetter, aber Menolly genoss es, weit weg von der Burg zu sein, in der frischen, klaren Luft. Ihr Trupp stieß bis zu den Drachenfelsen im Süden vor. Petiron hatte ihr einmal erklärt, dass diese Steine, die ein Stück vom Ufer entfernt aus tückischen Strudeln ragten, einst ein Teil der Halbkreis-Palisade gewesen waren und sicher ähnliche Höhlen aufwiesen wie alle Klippen in der Gegend.
Die Krönung für Menolly kam, als der berühmte Weyrführer F’lar mit seinem Bronzedrachen Mnementh landete, um ein paar Worte mit Yanus zu wechseln. Sie kam zwar nicht nahe genug heran, um zu verstehen, was die beiden Männer besprachen, aber der Feuersteingruch des gigantischen Bronzedrachen wehte ihr in die Nase, und sie konnte einen Blick in die schönen Augen tun; das Licht der blassen Wintersonne fing sich in den Facetten und funkelte in allen Farben. Die Muskeln unter der weichen Haut verknoteten und lockerten sich wieder. Menolly stand in gebührendem Abstand, aber einmal, als der Drache lässig den Kopf umwandte und zum Trupp der Flammenwerfer hinüberspähte, da war sie sicher, dass Mnementh sie mit seinen Feueraugen betrachtete. Sie wagte nicht zu atmen, so schön war er.
Unvermittelt zerbrach der Bann. F’lar sprang leichtfüßig auf die Schulter des Drachen, ergriff die Kampfriemen und
zog sich mit einem Schwung hoch zu den Nackenwülsten. Ein heftiger Luftzug erfasste Menolly und die anderen, als der Bronzedrache seine dünnen Schwingen ausbreitete. Im nächsten Moment schien er sich vom Boden zu lösen, der Aufwind trug ihn höher, die Flügel schlugen gleichmäßig auf und nieder. Dann entschwand Mnementh ihren Blicken. Menolly war nicht die Einzige, die tief seufzte. Es galt schon als großes Ereignis, wenn man einen Drachenreiter am Himmel erspähte. Aber nun hatte sie ganz in der Nähe dieses gewaltigen Tieres gestanden und mit angesehen, wie er aufstieg und im Dazwischen verschwand. Ein Wunder!
All die Gesänge über Drachenreiter und Drachen erschienen Menolly mit einem Mal nichtssagend. Sie stahl sich in die kleine Kammer der Frauen-Schlafgemächer, die sie mit Sella teilte. Sie wollte allein sein. Sie hatte eine kleine Flöte unter ihren Habseligkeiten, eine sanfte Riedpfeife, und sie begann zu spielen - eine aufgeregte kleine Melodie, die ihre Reaktion auf das große Ereignis widerspiegelte.
»Da bist du also!« Sella stürmte keuchend und mit hochroten Wangen in den Raum. Offensichtlich war sie die lange, steile Treppe nach oben gerannt. »Ich hab es Mavi gleich gesagt!« Sie packte die kleine Flöte. »Und du machst schon wieder eigene Musik!«
»Quatsch, Sella! Das ist ein altes Lied«, entgegnete Menolly scheinheilig und hatte ihrer Schwester im nächsten Moment das Instrument wieder entrissen.
Sella schluckte wütend. »Alt - dass ich nicht lache! Ich kenn dich doch. Und du drückst dich schon wieder vor der Arbeit. Los, in die Küche mit dir! Du wirst gebraucht.«
»Wer drückt sich vor der Arbeit? Ich habe heute Morgen meinen Unterricht gehalten und musste dann mit den Flammenwerfertrupps ins Freie!«
»Deine Trupps sind schon eine Ewigkeit zurück und du
stehst hier immer noch mit deinen vergammelten Sachen rum! Das Zeug stinkt wie die Pest. Vergiss nicht, dass ich auch in diesem Zimmer schlafen muss. Du gehst jetzt auf der Stelle nach unten, oder ich verrate Yanus, dass du wieder eigene Melodien ausprobiert hast.«
»Pah! Du kannst doch keine zwei Noten auseinanderhalten.«
Aber Menolly zog ihre Arbeitskleider aus, so rasch sie konnte. Sella sah es gleich, dass sie zu Mavi lief (vor Yanus hatte sie die gleiche Angst wie ihre jüngere Schwester) und ihr erzählte, dass Menolly in ihrer Kammer Flöte gespielt hatte - eine Tatsache, die bestimmt Argwohn weckte. Obwohl Menolly nie versprochen hatte, dass sie keine Lieder mehr komponieren wollte; sie hatte lediglich gesagt, dass sie es nicht mehr in Gegenwart anderer tun würde.
Doch an diesem Abend waren alle guter Laune.Yanus, weil er mit Weyrführer F’lar gesprochen hatte und weil man morgen mit einem guten Fang rechnen konnte, wenn das Wetter hielt. Die Fische kamen immer nach oben, um die ins Wasser gefallenen Fäden zu fressen, und der größte Teil des Sporenregens war diesmal nahe der
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