Drachenlord-Saga 01 - Der letzte Drachenlord
gesprochen? Was hatten sie im Hafen gehört, das ihr entgangen war? Und was kümmerte es einen ihrer Männer, was in Cassori geschehen würde? Sie stieg zum Vierteldeck hinauf und ließ ihren Ärger von der klaren Seeluft fortblasen.
Nun gut, tröstete sie sich. Was immer Otters Überraschung diesmal sein mag, das Warten wird sich bestimmt lohnen. Es lohnt sich immer. Aber muß er immer ein linkisches Spiel daraus machen?
4. KAPITEL
Die Wiese war mit Scharen von Schaulustigen bevölkert, die auf die Ankunft der Drachenlords warteten. Sie drängten sich hinter einer Doppelreihe rotgewandeter Palastwachen, die den größeren Teil der Wiese freihielten. Die Wappenröcke der Wachen leuchteten wie Blutspritzer vor dem satten Grün des Rasens. Hier und da ragten Banner aus dem Gedränge, rot, blau und goldfarben, schlaff in der reglosen, brütendheißen Luft. Menschen aller Stände standen Schulter an Schulter und redeten laut durcheinander. Weinverkäufer zwängten sich durch die Menge und verbuchten nie gekannte Gewinne. Es schien, als wäre ganz Casna gekommen, um die sagenumwobenen Drachenlords landen zu sehen.
Kas Althume stand unter Prinz Peridaens Baldachin und erfreute sich des kühlenden Schattens. Als Großhofmeister der königlichen Ländereien und Besitztümer standen ihm derlei Annehmlichkeiten zu; ihm wäre nicht danach zumute gewesen, unter den im Sonnenschein schwitzenden Schaulustigen zu stehen. Trotzdem ärgerte es ihn, daß er in der Öffentlichkeit nicht beim Prinzen sitzen durfte. Zu stehen tat seinem verletzten Oberschenkel nicht gut. Er tröstete sich mit dem Gedanken, daß die Wunde bald verheilen würde, und massierte sie behutsam.
»Schmerzt Euer Bein wieder?« fragte der Prinz. »Ich wünschte, Ihr würdet mir verraten, wie es passiert ist.«
Kas Althume schüttelte den Kopf. »Mein Bein ist nicht wichtig. Das dort ist wichtig. Seht Euch dieses dumpfe Narrenvolk an«, sagte er voller Verachtung. Er neigte sich zu Peridaen hinunter. »Es könnte ebensogut ein Jahrmarkt sein. Schaut nur, wie willig sie die Ankunft derer erwarten, die sie seit Jahrhunderten in Ketten legen. Und sie freuen sich sogar.«
Peridaen zuckte mit den Schultern. »Die zählen nicht. Und wenn die Bruderschaft gewinnt, wird hier und heute das Ende eingeläutet, und die Drachenlords werden sich ein für allemal aus den Angelegenheiten der Echtmenschen heraushalten. Glaubt Ihr, Euer Mann hat Pelnar schon erreicht?«
»Pol? Er brach an dem Tag auf, an dem feststand, daß die Drachenlords angehört werden würden. Ohne unvorhergesehene Zwischenfälle sollte er bald dort eintreffen. Leider wird es eine Weile dauern, bis er den gefunden hat, den wir brauchen«, sagte Kas Althume. »Man munkelt, der alte Nethuryn sei untergetaucht.«
Anstella, Baronesse von Colrane, die rechts von Peridaen saß, fragte: »Kas, wenn er zurückkehrt, glaubt Ihr wirklich, daß …«
»Sei still, Anstella«, fiel Peridaen ihr ins Wort.
Sie warf den Kopf zurück. »Verbiete mir nicht den Mund, Peridaen. Ich bin kein Kind. Die Diener sind außer Hörweite. Außerdem können sie mich bei dem Lärm sowieso nicht verstehen.«
»Echtmenschen können Euch nicht verstehen«, sagte Kas Althume. »Aber können Drachenlords Gedanken lesen, ein Vorhaben spüren? Und wenn, aus welcher Entfernung können sie es? Vergeßt nicht, dies ist eines der vielen Dinge, die wir nicht über sie wissen. Versucht, möglichst an nichts von alldem zu denken.«
Anstella senkte betreten den Kopf.
Kas Althume sah an ihr vorbei zu dem Festzelt, in dem sich die meisten der jüngeren Adligen aufhielten. Ein Mädchen fiel ihm auf. Sie hatte dieselben eleganten Züge und dasselbe kastanienbraune Haar wie die Baronesse. Doch anders als die Baronesse, die kunstvoll geflochtene Witwenzöpfe hatte, trug das Mädchen die Haare offen. Sie sah gelangweilt aus. Geringschätzig verzog sie die Lippen, während sie mit einem anderen Mädchen redete.
Doch ihre Hände widersprachen ihrer scheinbaren Gleichgültigkeit, denn ihre Finger drehten unablässig die sie zierenden Ringe. Kas Althume sah, daß sie genauso aufgeregt war wie alle anderen auch.
»Wie ich sehe, läßt Sherrine sich nicht von der Aufregung anstecken«, sagte er und trank einen Schluck würzigen Wein aus einem Silberkelch.
»Sie weiß, was sich gehört, im Gegensatz zu diesen hirnlosen Dingern«, sagte Anstella mit einer abfälligen Handbewegung. »Ich habe sie gut erzogen. Die anderen wollen sich natürlich
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