Drachenlord-Saga 01 - Der letzte Drachenlord
sagte sie mit zitternder Stimme. »Darf ich fragen, was Euch hierher führt?«
Er wog seine Antwort einen Moment ab. Dann sagte er: »Prinz Rann möchte, daß der Barde Otter Heronson ihm vorsingt, Mylady. Er fühlt sich heute abend nicht wohl, und Heilerin Tasha glaubt, daß es ihm helfen könnte.«
»Oh. Habt Ihr noch eine andere Nachricht?«
»Nein.« Das sonnengegerbte Gesicht wirkte gelangweilt.
Sie kam sich wie eine Närrin vor, mußte ihn aber fragen. »Nichts von Drachenlord Linden Rathan?«
Erstaunen trat an die Stelle der Langeweile. »Nein. Alle drei Drachenlords haben den Palast am frühen Nachmittag verlassen, um ein zu ihren Ehren veranstaltetes Fest auf Lord Sevrynels Anwesen am Fluß zu besuchen.« Er musterte sie argwöhnisch. Zweifellos fragte er sich, wie sie darauf kam, daß ihr ein Drachenlord eine persönliche Botschaft schicken würde.
Verwirrt ging Maurynna zu Maylin zurück, die am Fuß der Treppe stand. Otter kam den Flur hinunter, den Harfenkasten um die Schulter geschnallt, und zupfte seinen Umhang zurecht.
»Tut mir leid, daß ich nicht mitkommen kann, Rynna. Ich hoffe, Almered hat Verständnis für eine königliche Anordnung.« Er sah durch die offenstehende Haustür zum Abendhimmel hinauf. »Ihr macht euch besser auf den Weg. Es sieht nach Regen aus«, sagte er fröhlich. »Wartet nicht länger auf Linden. Er würde es nicht wollen, daß ihr euch verspätet. Wahrscheinlich ist er noch in der Sitzung.«
»Aber …«, begann Maurynna, doch der Barde war schon aus dem Haus gegangen, dicht gefolgt von dem Boten. »Er ist doch gar nicht in der Sitzung«, sagte sie zu der Eichentür, die sie plötzlich vor der Nase hatte.
Maurynna drehte sich zu Maylin um. »Ein Fest? Warum hat er nicht Bescheid gesagt?«
»Vielleicht war es eine Überraschung«, sagte Maylin. »Nur die Götter kennen die Antwort auf diese Frage, aber eines weiß ich ganz genau: Wenn wir warten, bis er von der anderen Seite des Flusses zurück, ist, werden wir das Tisrahn verpassen. Wir müssen los, Maurynna.«
»Habt Ihr getan, was ich Euch aufgetragen habe?« fragte Kas Althume.
»Ja«, antwortete Sherrine. »Ich glaube, ich habe in meinem Leben noch nie soviel gegessen wie in den letzten Tagen.« Sie legte eine Hand auf ihren Bauch. Sie hatte jeden Bissen ihrer Mahlzeit hinunterwürgen müssen. Linden wiederzusehen machte sie so nervös, daß ihr Magen rebellierte. »Wieso mußte ich überhaupt soviel essen? Davon war anfangs keine Rede.«
»Um die Wirkung des Pulvers zu verlangsamen«, sagte Kas Althume und hielt ein kleines, in Pergament gewickeltes Paket hoch. »Also, noch einmal – auf Lord Sevrynels Anwesen arbeitet ein Diener namens Joslin. Er ist derjenige, der den Abschiedstrunk zubereitet. Vorher gebt Ihr ihm dieses Paket. Schade, daß man das Pulver nicht den Speisen beimischen kann.«
»Stimmt«, sagte Sherrine und nahm das Paket. Sie verstaute es in ihrer bestickten Gürteltasche. »Wo sind die Ampullen?«
»Hier.«
Der Magier reichte ihr zwei tönerne Ampullen. Beide waren mit Wachssiegeln verschlossen, einem braunen und einem weißen. »Wiederholt noch einmal, was Ihr damit tun werdet.«
Nur mühsam ihre Ungeduld zügelnd, sagte Sherrine: »Das braune ist ein Brechmittel. Sobald ich den Abschiedstrunk. hinuntergespült habe, ziehe ich mich so schnell wie möglich zurück und trinke es. Danach trinke ich die Ampulle mit dem weißen Siegel aus; die Flüssigkeit ist das Gegenmittel gegen das Pulver.« Sie sah auf die zweite Ampulle hinunter und stellte die Frage, die sie bisher nicht zu stellen gewagt hatte. »Gegenmittel? Ist das Pulver etwa giftig?« Die Götter waren ihre Zeugen, sie wollte Linden nicht umbringen. Ihn leiden lassen, ja, aber ihn umzubringen gehörte nicht zu ihrem Plan.
»Nein.« Der Magier lächelte mitleidig. »Ich möchte Linden Rathan ebensowenig umbringen wie Ihr, Mylady. Durch das Gegenmittel bleibt Euch lediglich die … unangenehme Wirkung erspart, unter der er leiden wird.«
»Geschieht ihm ganz recht«, murmelte Sherrine.
Draußen erklangen Pferdehufe. Kas Althume ging ans Fenster. Sherrine hörte ihn zufrieden grunzen, als er die Hand hob und dem Reiter vor dem Haus kurz zuwinkte. »Das ist das Zeichen. Alles ist vorbereitet.«
Der Magier trat vom Fenster weg und nahm seinen Umhang vom Stuhl. »Seid Ihr bereit, Mylady? Es ist an der Zeit.«
Das war es tatsächlich. Zeit für ihre Vergeltung.
Linden entschuldigte sich von der Gruppe, mit der er geredet hatte.
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