Drachenlord-Saga 01 - Der letzte Drachenlord
Er sah Kief am anderen Ende des Saales stehen und ging zu dem älteren Drachenlord hinüber.
»Ihr wollt doch nicht schon gehen, oder?« fragte Kief mit vorwurfsvollem Unterton.
»Doch«, sagte Linden. »Wegen dieses idiotischen Festes bin ich schon spät genug dran. Ich werde Maurynna vor ihrer Familie nicht entehren. Oder mich vor ihr. «
»Ich wünschte, Ihr würdet es Euch – oh, da kommt Sevrynel. Er sieht aus, als sei ihm etwas über die Leber gelaufen. Ich frage mich, was los ist.«
Linden schaute über die Schulter. Lord Sevrynel kam direkt auf sie zu. Linden hatte selten einen so fahrigen und besorgt dreinblickenden Mann gesehen. Er hatte beinahe Mitleid mit ihrem Gastgeber. »Er zieht ein Gesicht, als wären ihm seine Stuten gestohlen worden«, flüsterte er.
Kief lachte hinter vorgehaltener Hand.
Lord Sevrynel blieb vor ihnen stehen. »Euer Gnaden, ich weiß nicht, wie ich es Euch sagen soll …«
Plötzliches Gedränge am Eingang ließ Linden – und, der plötzlichen Stille nach zu urteilen, auch alle anderen Gäste dort hinblicken. Beinahe hätte er laut geflucht.
Denn Sherrine kam auf ihn zu, ihr Gesicht kreidebleich und tränenüberströmt. Erstauntes Stimmengemurmel erhob sich. Ihr Blick war auf ihn fixiert, als wäre sie ein verlorener Wanderer und er ein Leuchtturm.
Und in ihren Händen hielt sie einen großen silbernen Trinkbecher.
Er wußte sofort, was es war: ein Abschiedstrunk. Den er mit ihr trinken mußte, wenn er vor den anwesenden Gästen nicht wie ein kaltherziger Schuft dastehen wollte – denn natürlich kannten sie nicht das wahre Ausmaß von Sherrines Verbrechen. Er hatte sogar mitbekommen, daß sich einige der Adligen fragten, wieso er sich wegen einer Gemeinen so aufgeregt hatte.
Er würde den Trunk mit ihr teilen und Sherrine öffentlich vergeben müssen. Erneut hatte das Mädchen ihm eine Falle gestellt. Und dieses Mal fand er es alles andere als amüsant.
Er wartete auf sie, seine Hände so fest um den Gürtel geschlossen, daß es ein Wunder war, daß sich die massiven Silberplatten unter dem Druck nicht verbogen.
Bleibt ruhig, Linden, warnte Kief. Tut nichts Unüberlegtes.
Als sie ihn erreichte, kniete Sherrine mit einem Bein nieder. »Linden«, begann sie mit tränenerstickter Stimme. »Linden, ich – ich wollte Euch sagen, daß es mir leid tut. Ich hatte kein Recht dazu. Ihr habt mir klargemacht, daß …« Sie sah einen Moment an ihm vorbei, dann fuhr sie fort. »Ich weiß, daß es aus ist mit uns. Ich wollte Euch nur unterrichten, daß ich mich für die Dauer der Regentschaftsdebatte auf den Landsitz meiner Familie zurückziehen werde. Ich weiß, daß meine Gegenwart in Casna … schmerzvoll für Euch ist. Morgen früh reise ich ab. Doch vorher wollte ich diesen Abschiedstrunk mit Euch teilen. In Gedenken an die Zeit, als wir miteinander glücklich waren.«
Linden musterte das zu ihm aufschauende Gesicht. Sherrines schöne Augen blickten traurig, aber hoffnungsvoll. Das Stimmengemurmel der gebannt starrenden Menge klang jetzt mitfühlend. Er würde in der Tat wie ein kaltherziger Schuft dastehen, wenn er den ihm dargebotenen Abschiedstrunk ablehnte.
Dennoch gedachte er genau das zu tun. Dann fiel ihm die Entschädigung ein. Maurynnas Worte, mit denen sie ihr Zerwürfnis mit Sherrine beigelegt hatte, galten auch für ihn. Am liebsten hätte er seinen Unmut laut hinausgeschrien.
»Ich werde den Abschiedstrunk mit Euch teilen, Mylady«, zwang er sich statt dessen zu sagen.
Daraufhin schenkte Sherrine ihm das wohl schönste Lächeln, das er je gesehen hatte, und stand auf. Sie hob den Becher, so daß alle Anwesenden ihn sahen, und sagte: »Lebt wohl, Linden. Ich hoffe, Ihr behaltet mich in besserer Erinnerung, als ich es verdiene.« Sie nahm einen tiefen Schluck.
Als sie ihm den Becher reichte, stieg ihm ein Hauch ihres Parfüms in die Nase. Der Duft erinnerte ihn an glücklichere Momente. Schade, daß es so enden mußte.
Linden hob den Becher und sagte: »Lebt wohl, Lady Sherrine. Ich werde mich der guten Zeiten entsinnen. Auf daß die Götter Euch beistehen.«
Seinen Worten folgten Geflüster und beifälliges Kopfnicken. Die Cassorier bekamen das Ende, das sie wollten.
Er trank.
Der Wein war vollmundig und stark. Wie bei einem Abschiedstrunk üblich, waren ihm sowohl süßliche als auch bittere Kräuter beigemischt, diesem anscheinend hauptsächlich bittere. Oder schmeckte es so bitter, weil es ihm von Anfang an widerstrebt hatte, den Wein zu
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