Drachenlord-Saga 01 - Der letzte Drachenlord
beiläufig wie möglich.
Otter schüttelte den Kopf. »Das letzte Mal vor zwei Tagen. Kief sagte, es gehe Linden unverändert. Depressiv, wolle niemanden sehen, esse kaum. Er ist nicht er selbst, Rynna. Sie haben ihm noch nicht mal gesagt, daß Tsan Rhilin verschwunden ist. Sie haben wahrscheinlich Angst davor, wie er es aufnehmen würde.«
Sie kamen an einer Gruppe von Straßenjongleuren vorbei. Maurynna nahm eine Kupfermünze aus ihrer Gürteltasche und warf das Geldstück dem Artistenjungen zu, der mit einer Holzschale herumging. Wieder zupfte sie an ihrer verschwitzten Tunika.
»Am liebsten würde ich mit der Seenebel rausfahren und der verfluchten Hitze für ein paar Stunden entrinnen«, grummelte sie. Und eine Weile ihre Sorgen hinter sich lassen. Doch die würden sie selbst auf See einholen.
Otter sagte: »Ich würde sofort mitkommen.«
Bevor Maurynna etwas entgegnen konnte, sah sie, daß ein Stück weiter die Straße hoch ein Tumult ausgebrochen war. Da sie größer als die meisten Cassorier war, hatte sie gute Sicht.
Soweit sie im Getümmel erkennen konnte, war ein Pferd durchgegangen, das nun wild bockend durch die Gegend sprang. Sie sah, daß sich ein zweites Pferd mit einem Reiter im Sattel aufbäumte und den Reiter abwarf. Soldaten der Stadtwache erschienen, als hätten sie sich aus dem Holz und Stein der Gebäude an der Straße materialisiert. Sie vernahm ein schallendes Wiehern und verstand.
»Armer Besitzer«, sagte Maurynna. »Wird teuer für ihn, falls die Wache ihn schnappt.« Sie warf Otter einen amüsierten Blick zu.
Doch statt ihr mit einem Schmunzeln zu antworten, blieb der Barde nur wie vom Donner gerührt stehen.
»Das Wiehern kommt mir bekannt – o nein. Das kann ich nicht glauben. Das kann nicht sein!«
Der Hengst wieherte von neuem.
Otter griff sich mit beiden Händen in den Bart. »Götter, helft uns – er ist es!« rief er und rannte los.
Maurynna starrte ihm verwirrt nach. Dann schob sie sich hinter Otter durch die lachende Menge. Er eilte zu den Soldaten der Stadtwache, die den durchgegangenen Hengst mittlerweile umstellt hatten. »Shan! Shan!« übertönte seine geübte Stimme das Getuschel der Umstehenden.
Maurynna folgte ihm dicht auf den Fersen, noch immer verwirrt. Die schwüle Luft klebte förmlich an ihrer Lunge. Es kam ihr vor, als würde sie Wasser atmen.
Woher kannte Otter das Pferd? Ihre Verwirrung wuchs, als der Hengst zu Otter hinübersah und etwas wieherte, das nur eine Begrüßung sein konnte. Weshalb sie sich dessen so sicher war, wußte sie nicht.
Sie sah, daß die Soldaten nervös waren, und fragte sich, warum die Männer sich vor einem Pferd fürchteten. Dann fiel ihr ein, daß Raven ihr einmal erzählt hatte, daß sich nur ein Narr zwischen einen ihm unbekannten durchgegangenen Hengst und der von ihm erwählten Stute stellte. »Es gibt nettere Arten, in den Freitod zu gehen«, hatte er gesagt.
Warum hatte der Hengst die Soldaten dann nicht über den Haufen gerannt?
Zwei Soldaten der Stadtwache halfen dem Reiter der Stute auf die Beine. Sie wieherte dem Hengst zu. Offenbar gefielen ihr seine Annäherungsversuche. Einer der Soldaten reichte dem Reiter die Zügel. Der Mann brüllte und fluchte mit einer für seine Fettleibigkeit überraschend schrillen Stimme.
»Mir ist schnurz, wem dieser verwahrloste Gaul gehört! Ich werde Schadenersatz fordern! Dies ist eine reinrassige Wüstenstute! Ein so edles Tier lasse ich doch nicht von jedem dahergelaufenen Klepper besteigen!« Die Locken seines kunstvoll zurechtgestutzten Bartes bebten vor Entrüstung.
Der »dahergelaufene Klepper« tänzelte vor den Soldaten herum und erwiderte das Wiehern der Stute. Geschickt wich er den Händen aus, die seine Mähne zu packen versuchten. Er ließ sie jedesmal dicht herankommen und sprang im letzten Moment zurück, als würde er mit den Männern spielen. Selbst Maurynna, die sich mit Schiffen besser auskannte als mit Pferden, bewunderte die Geschmeidigkeit und Eleganz seiner Bewegungen und den schelmischen Glanz in seinen Augen. Sie wünschte, Raven könnte dieses wunderschöne Tier sehen. Sein Besitzer mußte wegen des Verlusts untröstlich sein.
Trotzdem sah man dem Pferd an, daß es in letzter Zeit vernachlässigt worden war. Blätter und zahllose kleine Zweige hingen in seiner verfilzten Mähne und seinem buschigen Schwanz. Und sein Fell, das zwar immer noch glänzte, hatte schon lange keine Bürste mehr gesehen. Die kräftigen Beine, dick wie Eichenschößlinge,
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