Drachenlord-Saga 01 - Der letzte Drachenlord
die Tausende winziger Schnecken und Muscheln verursachten.
Sie ließ sich von der Welle am Felsen emporheben, so daß ihr Kopf nun ein gutes Stück aus dem Wasser ragte. Dankbar legte sie eine Atempause ein und studierte ihre Umgebung.
Sie konnte die Küste erkennen: ein schmaler, steiniger Strand am Fuße einer Klippe. Bevor sie an dem Gedanken verzweifelte, wie sie die Klippe erklimmen sollte, änderte sich ihre Sicht. Einen Augenblick war die mondbeschienene Welt schmerzhaft scharf, als würde sie mit den Augen eines Adlers sehen.
Ein Weg führte die Klippen hoch. Maurynna weigerte sich, zu erwägen, daß es nichts weiter als eine Halluzination gewesen sein könnte, daß der Weg bloßes Wunschdenken war. Statt dessen stieß sie sich vom Felsen ab und schwamm direkt auf die Klippe zu. Eine letzte Welle warf sie an den steinigen Strand. Nach Luft japsend, fiel sie auf die Seite. Jeder Muskel in ihrem Körper schmerzte – sogar die, von deren Existenz sie bisher nichts gewußt hatte.
Götter, helft mir.
Langsam – zu langsam – kehrten ihre Kräfte zurück. Und mit ihnen auch die unnatürliche Schärfung ihrer Sinne. Die lärmende Brandung toste in ihren Ohren, drohte ihren Kopf zu zersprengen. Und der Salzgeruch in der Luft war so stark, daß sie glaubte, darin ertrinken zu müssen. Jeder einzelne Stein unter ihr verursachte unsägliche Schmerzen. Sie fühlte sich, als hätte man sie gehäutet und auf einen Dornbusch geworfen. Sie kniff die Augen zu. Noch ein solcher Anfall, und sie würde sich in die Wellen schmeißen, um der Tortur ein für allemal ein Ende zu machen.
Gerade noch wurde sie von unendlicher Pein gemartert, dann war es auf einmal, als wäre nichts gewesen. Aller Schmerz war verflogen. Ich werde nicht verrückt! Nein, ich werde nicht verrückt! versuchte sie sich einzureden. Sie schlug die Augen auf.
Irgendwie schaffte sie es, sich auf Hände und Knie zu stützen. Wieder bohrten sich die Steine in ihre Haut, aber dieses Mal war es nicht schmerzhafter, als es sein sollte. Sie begrüßte den Schmerz als Zeichen ihrer geistigen Gesundheit. Vorsichtig kroch sie zum Fuß der Klippe und sah nach oben.
Im Mondschein war der Weg deutlich zu erkennen. Er war höllisch steil für jemanden, der so erschöpft war wie sie. Tränen rannen ihr übers Gesicht. Sie bezweifelte, daß ihre Kräfte ausreichten, um dort hinaufzukommen, und doch mußte sie es versuchen.
Sie mußte zu Linden. Etwas in ihr trieb sie weiter, schlug mit flammenden Flügeln gegen ihre Seele. Stöhnend rappelte Maurynna sich auf und zog sich Stück für Stück an der Klippenwand hoch. Ihre Beine waren weich wie Brotteig, doch nun stand sie. Sich nur mit ihrer ganzen Willenskraft auf den Beinen haltend, begann Maurynna den Aufstieg.
Der Weg war schmal und wand sich in engen Kurven steil nach oben. Es schien schwieriger, als zum Mond zu fliegen.
Selbst wenn ich ausgeruht wäre, wäre es höllisch anstrengend, dachte sie. Sie zwang ihre Beine weiter. Der scharfkantige Felsboden tat ihren nackten Fußsohlen weh, während sie Schritt um Schritt weiterlief.
Noch ein Schritt; nur noch ein Schritt. Immer wieder sprach sie im Geiste diese Worte. Noch ein Schritt.
Sie belog ihre zitternden Beine, brachte sie dazu, immer höher zu steigen. Fast oben …
Nur. Noch. Ein. Schritt.
Sie fiel hin. Instinktiv riß sie die Arme hoch, um nicht in die Tiefe zu stürzen. Ihre linke Hand stieß gegen den Felsen. Die rechte – griff ins Leere.
Ihr Körper wollte der Hand in die Dunkelheit unter ihr folgen. Maurynna schrie auf. Trotzdem verhinderte ein eigenartiger Lähmungszustand, daß sie versuchte, sich zu retten. Im letzten Moment, kurz bevor sie in den sicheren Tod gestürzt wäre, fanden ihre abrutschenden Finger einen Felsvorsprung. Die Lähmung verflog. Mit letzter Kraft klammerte sich Maurynna an den Vorsprung und kroch auf den Weg zurück.
Sie lag keuchend auf dem Bauch. Vor ihr wand sich der Weg in eine letzte, scharfe Biegung, dann führte das letzte Stück vielleicht zweihundert Schritte – geradeaus nach oben.
Und wenn sie wieder hinfiel?
Noch nie in ihrem Leben hatte sie solche Angst gehabt. Selbst nicht, als sie einmal beinahe vom Hauptmast der Seenebel gefallen wäre. Denn damals hatte sie nicht den Drang verspürt, sich – wie eben – einfach in die Tiefe zu stürzen. Während sie gerade verzweifelt um ihr Gleichgewicht gerungen hatte, hatte eine grimmige Stimme sie gedrängt, von der Klippe zu springen.
O Götter, habt
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