Drachenlord-Saga 01 - Der letzte Drachenlord
Erschöpfung.
Herzogin Alinya, Berens Großtante, saß am anderen Ende des langen Tisches den Drachenlords gegenüber. Bis die Frage der Thronfolge entschieden war, war sie Herrscherin über Cassori.
Das Alter hatte sie schrumpfen lassen, doch in ihren hellblauen Augen lagen Stolz und Entschlossenheit, und ihrem Auftreten haftete nichts Schwächliches an.
Alinya hieß sie willkommen. »Verehrte Drachenlords, ich möchte Euch noch einmal dafür danken, daß Ihr uns zu Hilfe gekommen seid. Alle Anwesenden sind übereingekommen, daß wir Eurer Entscheidung uneingeschränkt folgen werden …« Sie warf den beiden Thronanwärtern rechts und links neben ihr eindringliche Blicke zu. Berens Miene verfinsterte sich wieder. Peridaen nickte demütig lächelnd.
Die Herzogin sprach den Satz zu Ende: »Eurer Entscheidung darüber, wer die Regentschaft übernehmen wird, bis Rann alt genug ist, um selbst zu regieren.« Sie legte dem Jungen eine faltige Hand auf den Kopf und strich ihm zärtlich übers Haar. Rann schmiegte sich in ihre Berührung wie ein junger Hund.
»Da wir bereit sind und alle Anwesenden zugestimmt haben, unseren Urteilsspruch anzunehmen, sollten wir nun beginnen«, sagte Kief Shaeldar.
Linden lehnte sich in seinen Stuhl zurück und massierte seinen Nacken. Angesichts des Schneckentempos, mit dem die Dinge voranschritten, ging er davon aus, daß er für den Rest seines Lebens in Cassori bleiben mußte. Im Augenblick lobpreiste jemand die Hingabe, mit der die verstorbene Königin das Land regiert hatte. Er unterdrückte ein Gähnen.
Der Mann leierte weiter: »Und zweifellos hätte unsere geliebte Königin den Bruder ihres …«
Lord Duriac sprang auf. »Wäre die Königin nicht so nachlässig gewesen, müßten wir hier nicht unsere Zeit vergeuden! Eine vorschriftsmäßige Ernennung eines Thronfolgers in Anwesenheit von Zeugen – so hätte sie vorgehen sollen. Dann müßten wir uns jetzt nicht mit einem sogenannten Ermächtigungsschreiben herumärgern, das aus dem Nichts aufgetaucht ist.«
Beren von Silbermärz – drei Plätze entfernt von Duriac schlug seine großen Fäuste auf den Tisch. »Nennt Ihr mich einen Lügner, Duriac?« brüllte er.
Linden spannte sich, bereit, eine Prügelei zu verhindern.
Doch statt dessen weckte ein leises, kaum hörbares Wimmern seine Aufmerksamkeit. Rann hatte sich in seinem Stuhl zusammengekauert und kaute ängstlich auf den Lippen. Tränen schimmerten in seinen Augen.
Duriac lächelte affektiert und sagte: »Die SilbermärzFamilie hat schon immer den Thron von Cassori gewollt. Wollt Ihr, was Eurem Bruder nicht vergönnt war – nämlich König zu werden?«
Beren sprang schreiend auf. Duriac schrie etwas zurück. Eine Gräfin erhob sich und stellte sich zwischen die beiden Männer. Alle begannen gleichzeitig zu reden. Kief mahnte den Rat zur Ruhe, doch seine schwache Stimme wurde übertönt. Rann ließ weinend den Kopf auf die Knie sinken.
Linden stand auf. Seine tiefe Stimme schnitt durch den Lärm. »Meine Herren, Euer Benehmen ist äußerst unschicklich. Entschuldigt mich bitte, ich wünsche ein Gespräch mit Prinz Rann.«
Bevor jemand reagieren konnte, ging er zu Ranns Platz. Rann, dem Tränen über die Wangen liefen, sah zu ihm auf. Linden widerstand dem Drang, den Jungen hochzunehmen und ihn zu trösten. Rann war zwar noch ein Kind, aber er war auch ein Prinz und mußte gemäß der höfischen Etikette behandelt werden.
»Eure Hoheit, würdet Ihr Euch bitte mit mir zurückziehen? Ich wünsche, allein mit Euch zu sprechen«, sagte Linden.
Rann nickte und stellte sich auf seinen Stuhl. Linden nahm ihn hoch, um ihn auf dem Boden abzusetzen, doch Ranns dünne Ärmchen schlangen sich um seinen Hals. Nun, wenn der Junge getragen werden wollte, war Linden dazu mehr als gewillt. Er trug ihn zu der Seite des Saals, wo die Tür zum Vorzimmer noch offenstand. Er überlegte einen Moment, ob er Rann dort hinbringen sollte, blieb aber statt dessen mit dem Jungen auf dem Arm ein Stück von den Ratsmitgliedern entfernt vor einem Fenster stehen.
Kief fragte: Linden, was tut Ihr?
Tarina schickte ihm eine wortlose Rüge.
Linden ignorierte die unverhohlene Verärgerung der älteren Drachenlords. Ich tue nur, was von Anfang an hätte getan werden müssen. Das Kind sollte nichts Schlechtes über seine verstorbenen Eltern hören. Kief, bitte – mischt Euch nicht ein. Er spürte, wie Kief mit sich rang, dann seine resignierte Zustimmung und Tarinas Empörung über seinen
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