Drachenlord-Saga 01 - Der letzte Drachenlord
Bettrand und sah zu Maurynna hinunter. »Aber jetzt kommt das Beste! Ich hielt Kella auf dem Arm, damit sie besser sehen konnte, und sie hat natürlich gewinkt. Linden Rathan hat zurückgewinkt und ›Hallo, Kleine‹ gerufen. Seitdem winkt er uns jedesmal zu, wenn wir da sind, egal ob er allein ist oder die anderen Drachenlords dabei sind. Ich glaube, er hält nach uns Ausschau. Immer wenn er uns sieht, lächelt er.«
»O Götter«, flüsterte Maurynna mit geschlossenen Augen und streichelte zärtlich über den Bürstengriff, der die Form eines Drachens hatte.
Für Maylin klangen die Worte wie ein sehnsüchtiges Flehen. »Mutter braucht uns zwar morgen, aber sie meinte, daß wir dich zur Prozession bringen dürfen. Ich hätte Kella das erzählen lassen sollen – eigentlich ist es ja ihre Geschichte –, aber ich konnte nicht abwarten. Tu einfach überrascht, wenn sie es dir erzählt.«
Maurynna nickte. Die zweifarbigen Augen öffneten sich; sie funkelten. Maylin fragte sich, warum ihre Cousine plötzlich so hochmütig wirkte.
Ihre Frage wurde beantwortet, als Maurynna in gespielter Bescheidenheit sagte: »Habe ich dir erzählt, daß Otter mir versprochen hat, mich Linden Rathan vorzustellen? Sie sind Freunde, weißt du.«
»Was!« Maylins Ausruf ließ Kella im Schlaf grummeln. Reumütig schlug Maylin eine Hand vor den Mund.
Maurynna nickte wieder. »Aber ich weiß nicht, wann er mich ihm vorstellt, und ich würde Linden Rathan gerne schon früher sehen. Glaubst du, daß er morgen früh da sein wird?«
»Wahrscheinlich. Ich glaube, morgen ist wieder eine Sitzung. Sie scheinen sich vier oder fünfmal hintereinander zu treffen, dann machen sie zwei oder drei Tage Pause – Mutter meint, damit sich die Gemüter abkühlen. Es heißt, der Rat stehe kurz vor dem Auseinanderbrechen. Und das würde Krieg bedeuten. Nur dank der Drachenlords ist es bisher nicht soweit gekommen.« Maylin zitterte bei der Vorstellung. Ihr Blick traf den ihrer Cousine.
Maurynna machte das Zeichen zum Schutz vor allem Bösen. »Bleibet fort, ihr finsteren Geister«, sagte sie. »Laß uns hoffen, daß die Drachenlords einen Krieg verhindern können.«
Die nächsten Augenblicke verstrichen in sorgenschwerer Stille. In der kleinen Schlafkammer mit ihren vom Alter gedunkelten Deckenbalken sollte die Möglichkeit eines Bürgerkriegs in weiter Ferne scheinen. Doch zum ersten Mal glaubte Maylin, daß es tatsächlich geschehen konnte. Etwas hing in dem Raum wie ein undurchdringlicher Schatten. Selbst die farbenfrohen Ofenkacheln schienen dunkler.
Dann vertrieb Maurynna die düstere Stimmung. Sie fuhr fort, ihre Haare zu bürsten, und fragte fröhlich: »Wie sieht er aus?«
Da sie nur einen »Er« meinen konnte, begann Maylin: »Er ist groß …«
Maurynna starrte ins Leere, wieder das verträumte Lächeln im Gesicht. Die Bürste blieb auf halber Höhe in den Haaren hängen.
Mit einiger Verspätung fiel Maylin ein, daß die Beschreibung auch auf den Dockarbeiter paßte. O Götter, Maurynna würde doch nicht – nicht mit einem gewöhnlichen Dockarbeiter, oder?
Wie sollte sie fragen, ohne Maurynna zu kränken? Maylin überdachte das Problem und fand keine zufriedenstellende Lösung. Dann also einen Frontalangriff.
»Du siehst aus wie ein liebeskrankes Kalb«, sagte Maylin. »Du denkst wieder an diesen Dockarbeiter, stimmt’s? Du brauchst es gar nicht abzustreiten. Du bist so rot wie die Uniform einer Palastwache. Was ist zwischen euch beiden vorgefallen?«
Soweit es überhaupt möglich war, wurde das Rot in Maurynnas Gesicht noch eine Spur intensiver. »Was meinst du mit vorgefallen«?
»Streite es nicht ab.« Maylin verschränkte die Arme. »Maurynna, als du von ihm erzählt hast, wurde dein Blick ganz starr. Und die ganze Zeit lächelst du so merkwürdig. Du hast doch nicht vor, dich mit ihm …«
»Einzulassen?« Maurynnas Blick grollte wie ein Sturm vor dem Ausbrechen.
Maylin zählte ihre Atemzüge. Eins, zwei, drei … Sie kam bis zehn, bevor die Gefahr verstrichen war. Der Ärger schmolz dahin und wich einem Ausdruck der Verwirrung.
»Ich weiß es nicht Er ist – er ist … Er hat einfach etwas an sich«, sagte Maurynna. »Besser kann ich es nicht erklären nicht mal mir selbst. Ich kenne nicht mal seinen Namen; er hat ihn mir nicht gesagt. Er ist ein adliger Yerrin; ich habe seinen Clanzopf gesehen.« Sie hockte sich auf die Knie und blies das Binsenlicht aus. In der plötzlichen Finsternis gestand sie: »Er hat mich geküßt,
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