Drachenlord-Saga 02 - Drachenherz
Echtmenschen.
»Warum?« fragte Raven schließlich. Kaltfeuer beleuchtete sein nasses Gesicht. Regen? Oder Tränen? Der Schmerz in seiner Stimme schien zu schneiden, scharf und hart, wie ein Messer. »Schätzen sie Echtmenschen so gering?«
Linden hatte keine Antwort für ihn. Er glaubte nicht, daß irgend jemand es wußte oder je wissen würde.
Dann schaltete sich Jekkanadar ein; ein Ball goldenen Kaltfeuers beleuchtete sein schmales, dunkles Gesicht. »Ich glaube nicht, daß das der Grund ist.« Seine Worte hatten das schüchterne Zögern von jemandem, der zum ersten Mal laut über seinen Glauben spricht. »Sie gehen eine sehr, sehr feste Verbindung mit ihren Reitern ein.«
»Das habe ich bei Shan gesehen«, sagte Otter. »Aber was hat das zu tun mit …«
Die Kaltfeuer schwebten in die Nacht davon. »Stell dir vor, du könntest dreihundert Jahre leben, vielleicht sogar länger. Denk an den Schmerz, dein Herz jemandem zu schenken, der nur einen Bruchteil dieser Zeit leben wird. Wie oft kannst du das tun, ohne daß dir das Herz bricht?«
Sie gingen weiter und wickelten sich fester in ihre Umhänge gegen die feuchte Kälte. Linden fragte sich, ob Jekkanadar der Wahrheit nicht tatsächlich nahegekommen war.
Lleld ergänzte mit ungewöhnlicher Nüchternheit: »Das ist derselbe Grund, weshalb so viele Drachenlords sich nicht wirklich mit Echtmenschen anfreunden können. Es tut einfach zu weh.«
»Wir kommen und gehen so schnell, nicht wahr?« sagte Otter. Er sprach als Mann, der viele Jahre gelebt hatte, der wußte, daß er sich dem Ende der Zeitspanne näherte, die einem Echtmenschen zustand, und er akzeptierte diese Wahrheit.
»Wie Motten in einer Flamme«, flüsterte Lleld.
Maurynna, die neben Linden herging, gab ein unterdrücktes Geräusch von sich. Erkannte sie nun vielleicht zum ersten Mal, was es bedeutete, ein Drachenlord zu sein? Daß sie jeden, den sie in ihrem Leben als Echtmensch gekannt hatte, überleben würde; all ihre Freunde, ihre gesamte Familie? Jeder Echtmensch, den sie nun kannte, würde zu Staub zerfallen, und sie wäre immer noch unverändert.
Sie würde jedes Kind, das ihre Verwandten noch nicht einmal zur Welt gebracht hatten, aufwachsen, alt werden und sterben sehen, und ihre Kinder nach ihnen.
Er schob seinen Umhang beiseite und griff nach der Hand, von der er wußte, daß sie sich nach ihm ausstreckte. Kalte Finger schlössen sich um seine, als ob sie ihn nie wieder loslassen wollten.
Wir haben einander, sagte er ihr und legte soviel Trost wie möglich in diese Worte.
Den Göttern sei Dank, kam die zutiefst empfundene Antwort.
Raven hielt inne und hob die Hand. »Was ist das?« fragte er scharf.
Linden blieb stehen, ebenso die anderen. Er war so in das Gespräch und in Maurynnas Kummer versunken gewesen, daß er nichts gehört hatte. Jetzt tat er es. Einen Augenblick später identifizierte er das Geräusch.
»Hufe«, sagte er. »Galoppierende Pferde.«
»Und sie kommen näher«, sagte Maurynna. »Sie kommen auf uns zu – unsere Llysanyaner?« Der Zweifel in ihrer Stimme machte deutlich, wie wenig sie das glaubte.
»Ärger?« fragte Otter leise.
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Linden und setzte Kaltfeuerkugeln rings um sie her. Die anderen taten es ihm gleich. Sie warteten unruhig und angespannt auf dem Weg.
Einen weiteren Augenblick lang kam das Geräusch direkt auf sie zu. Dann teilte es sich nach beiden Seiten – es waren zwei Pferde, wie Linden bereits angenommen hatte – und umkreiste sie abermals.
Neue Hoffnung regte sich in seiner Brust. »Seht doch!« rief er.
Direkt vor ihnen, von jeder Seite des Weges, kamen zwei Llysanyaner ins Licht. Sie waren so schwarz wie die Nacht, aber ihre grauen Mähnen und Schweife schimmerten im Licht des Kaltfeuers. Sie schienen aufeinander zuzurasen; im letztmöglichen Augenblick drehten sie sich der wartenden Gruppe zu. Wie in einer einzigen Bewegung hoben sie die Vorderbeine vom Boden, eine langsame, beherrschte Bewegung. Beide sprangen direkt in die Luft und traten mit den Hinterbeinen aus. Als sie den höchsten Punkt des Sprungs erreicht hatten, schienen sie einen magischen Augenblick lang zu schweben.
Linden sah ihnen voller Ehrfurcht zu. Er wußte, was er gesehen hatte, ebenso wie Raven: das Aelarhan, das Schlachtenmanöver, das dazu gedacht war, einen Fußsoldaten zu köpfen oder einen anderen Reiter aus dem Sattel zu schleudern – ein ebenso tödliches wie schönes und verflucht schwieriges Manöver.
Die
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