Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Drachenmonat

Drachenmonat

Titel: Drachenmonat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
Vom Netzwerk:
schien viel zu wissen. Als wüsste er beispielsweise, warum er gerade diese Fragen stellte.
    »Denkst du an deine Mutter?«
    Ich zuckte zusammen. Er sah mich immer noch an. Er saß immer noch auf seinem Stuhl.
    »Was soll mit ihr sein?«, fragte ich. »Denkst du viel an sie?«, fragte er. »Nein.«
    Er schwieg, aber ich sah ihm an, dass er wusste, dass ich log.
    »Ich habe mit deiner Mutter gesprochen.«
    »Hier? Ist sie hier gewesen? In der Schule?«
    »Ich war zu Hause bei euch.«
    »Sie sind bei uns zu Hause gewesen?«
    »Ja.«
    »In meinem Zimmer?«
    »Nein, in deinem Zimmer bin ich nicht gewesen.«
    »Wo dann? In Mutters Schlafzimmer?« Jetzt war der Direktor an der Reihe, zusammenzuzucken. »Warum fragst du das?«
    »Sie schläft dauernd. Wenn man mit ihr reden will, muss man ins Schlafzimmer gehen. Aber dann wird es ein Gespräch im Schlaf.«
    »Sie war wach, Kenny, und wir haben uns im Wohnzimmer unterhalten.«
    »Warum wollten Sie mit ihr sprechen?«
    »Es ist nicht das erste Mal, dass ich Eltern eines Schülers aufgesucht habe«, sagte er, »ich war schon bei mehreren.«
    »Das reicht dann doch«, sagte ich, »warum müssen Sie auch noch zu uns kommen?«
    »Es ging um das, warum du im Augenblick hier sitzt, Kenny.«
    »Okay, ich werde im Unterricht besser aufpassen«, sagte ich. »Darf ich jetzt gehen?«
    »Du kannst gehen, wann du willst.«
    Ich stand auf. Aber um auf die Füße zu kommen, musste ich erst einmal ein Stück vom Stuhl rutschen.
    »Und du kannst auch wiederkommen, wann du willst«, sagte der Direktor.
    »Wie … meinen Sie das?«, fragte ich.
    »Ohne dass dich deine Lehrerin zu mir schickt. Ich werde mal mit ihr reden. Ich meine, du kannst zu mir kommen, wenn du reden möchtest. Egal was. Du kannst auch über nichts reden.« Er lächelte. »Zum Beispiel, wie es zu Hause ist.« Er hörte auf zu lächeln. »Ich mache mir Sorgen wegen deiner Mutter.«
    Da war er nicht allein.
    »Warum?«
    »Sie ist ein wenig … traurig.«
    »Sie ist ein wenig müde«, sagte ich.
    »Das hat vielleicht einen Grund, Kenny.«
    »Bin ich der Grund?«
    »Nein, nein.«
    »Ich bin doch der Einzige, der der Grund sein könnte«, sagte ich.
    »Wer traurig ist, ist häufig müde«, sagte der Direktor. »Das kann viele Gründe haben.«
    »Ist sie irgendwie krank?«
    »Ich bin kein Arzt, Kenny. Aber … sie müsste mit jemandem reden.«
    »Mit jemandem reden?«
    »Darüber, wie es ihr geht.«
    Ich wusste nicht, warum der Direktor mit mir wie mit einem Erwachsenen redete. Hatte er das alles zu Mutter gesagt? Wollte er, dass ich es ihr sagte? War ihr Kopf krank?
    War sie deswegen im Sommer abgehauen? Und kam sie deswegen den ganzen Tag nicht aus dem Bett? Mit jemandem reden? Mit wem denn?
    »Mit wem sollte sie reden?«, fragte ich.
    »Ich will versuchen zu helfen«, sagte der Direktor.
    Plötzlich klingelte es. Die Schule war aus. Im Büro des Direktors klang die Glocke genauso schrill wie in unserem Klassenzimmer.
    »Ja … dann auf Wiedersehen«, sagte ich, drehte mich um und ging.
     
    Als ich aus der Schule nach Hause kam, war Mutter noch nicht aufgestanden. In ihrem Zimmer war es dunkel.
    Ich ging zum Fenster und zog das Rollo halb hoch. Die Sonne schien herein wie ein Scheinwerfer, aber Mutter lag wie tot unter ihrer Decke.
    »Ich hab eingekauft«, sagte ich.
    Keine Antwort.
    »Es gab keinen Blutpudding«, sagte ich.
    Das war eine Lüge. Mutter hatte mir Geld gegeben, damit ich Blutpudding kaufte, aber den hasste ich. Ich gehörte nicht zu denen, die überhaupt kein Fleisch aßen, aber Blut hasste ich. Geronnenes Blut mit weißen Würfeln Schweinefleisch darin. Blutpudding war das Billigste, was man an der Fleischtheke kaufen konnte, und es war klar, warum er so billig war. Der Blutkloß, der aus getrocknetem Blut bestand, sah aus wie ein Brot mit einem Loch in der Mitte. Den Blutkloß legte man in Wasser, und dann kochte man ihn, bis er zu seiner zehnfachen Größe anschwoll, und dann aß man ihn mit einer weißen Soße, und danach hatte man das Gefühl, man würde ersticken.
    Jetzt sah ich, dass es sich unter der Decke bewegte.
    Mutter schaute auf.
    »Komisch, dass sie keinen Blutpudding hatten«, sagte sie.
    »Ja, das ist komisch.«
    »Was hast du stattdessen gekauft?«
    »Koteletts«, antwortete ich.
    »Koteletts? Aber dafür hat das Geld doch gar nicht gereicht?« Mutter richtete sich langsam auf. »Du konntest doch gar keine Koteletts kaufen.«
    »Lammkoteletts«, sagte ich.
    »Lammkoteletts? Davon hab ich noch

Weitere Kostenlose Bücher