Drachenmonat
nicht egal? Man kriegt viele Geschenke!«
»Aha.«
»Und Wein und Kuchen! Der Pastor in der Kirche gibt einem Kuchen zu essen, und dann darf man Wein trinken!«
»Ich glaub nicht, dass es echter Wein ist. Außerdem mag ich keinen Wein.«
»Hast du denn schon mal welchen probiert?«
»Nein.«
»Dann weißt du doch gar nicht, ob du den magst.«
»Es ist kein echter Wein«, sagte ich.
»Ist es wohl.«
»Woher weißt du das?«
»Hat mir Magnus erzählt.«
»Magnus? Wer ist Magnus?«
»Er geht in meine Klasse. Sein Vater ist Kirchendiener in der Kirche.«
Wo denn sonst als in der Kirche, dachte ich. Vielleicht auf dem Fußballplatz? Oder in der Fabrik?
»Magnus’ Vater hat gesagt, dass es richtiger Wein ist«, sagte Bengt. »Und dass der Pastor ihn austrinkt.«
»Dann kann er den Konfirmanden doch keinen Wein geben«, sagte ich.
»Genau! Das kann er nicht! Deshalb muss er immer mehr beim Bischof bestellen!«
Ich wusste zwar nicht, ob Bengt sich diese Geschichte ausgedacht hatte oder ob Magnus ihm einen Bären aufgebunden hatte oder ob Magnus’ Vater seinem Sohn einen Bären aufgebunden hatte, aber da ich mich nicht konfirmieren lassen wollte, war es mir egal, ob der Pastor den Wein austrank. Ich hatte gehört, dass er gern Wein trank, aber als mein Vater beerdigt wurde, hatten wir einen anderen Pastor, weil der zuständige Pastor krank war. Und die Vertretung war nicht betrunken gewesen.
»Weißt du, was er gesagt hat, als Rolands Schwester konfirmiert wurde?«
»Wer ist Roland?«
»Er geht in meine Klasse. Weißt du, was der Pastor zu seiner Schwester gesagt hat?«
»Nein.«
»Sie sollte als Letzte konfirmiert werden. Sie müssen knien, und es heißt Abendmahl, obwohl es mitten am Tag ist, der Pastor geht mit einer Kanne an der Reihe endang und gießt jedem Wein in den Mund, und als er zu Rolands Schwester kam, goss er ihr den Rest in den Mund, da war die Kanne leer, und weißt du, was er da gesagt hat?«
»Nein, das weiß ich nicht, Bengt.«
»Er beugte sich vor und flüsterte: >Hast du alles ausgesoffen, verdammtes Gör?«
Bengt fing an wie verrückt zu lachen. Ich lachte auch.
»Hast du alles ausgesoffen, verdammtes Gör?!«, rief Bengt.
»Man darf nicht fluchen«, sagte ich, »nirgends.«
»Du hast früher wie ein Bierkutscher geflucht.«
»Das war früher«, sagte ich und ging auf den Durchgang zu, der vom Hof auf die Straße führte.
»Was willst du jetzt machen?« Bengt folgte mir. »Eine Runde drehen.«
»Darf ich mit?«
»Nein.«
Es war ein dunkler Abend, aber es war immer noch warm. Dunkel war es, weil die Straßen in diesem Teil der Stadt schwach beleuchtet waren. Vermutlich war der Kommune das Geld ausgegangen, als sie in diesem Stadtteil Straßenlaternen aufstellen wollten.
Einige Autos fuhren vorbei, und ich musste mich dicht an die Hauswände drücken. Die Autos verschwanden mit ihren roten Rücklichtem, die wie Katzenaugen blinkten.
Ich hatte kein bestimmtes Ziel. Aber ich war sicher, dass ich keine Gesellschaft haben wollte, ich wollte mit niemandem reden. So wanderte ich abends oft in der Dunkelheit hemm. Ich versuchte mir auszumalen, was morgen passieren würde. Etwas würde passieren. Ich hatte so ein Gefühl, dass etwas passieren würde, das alles veränderte. Es war fast wie ein Traum, über den man nachdenkt, bevor man ihn überhaupt geträumt hat, ein sehr merkwürdiges Gefühl. Träume haben nichts mit zu Ende gedachten Gedanken zu tun. Träume passieren einfach.
Ich überquerte den Fluss. Am anderen Ufer war es heller, die Laternen standen etwas näher beieinander.
Als ich vor dem Haus stand, in dem Kerstin wohnte, wurde es wieder dunkel. Es sah ungefähr genauso aus wie unseres, jedenfalls im schwachen Laternenlicht. Man konnte kaum erkennen, hinter welchen Fenstern Licht war und hinter welchen nicht. Ich meinte Musik zu hören, jemand sang, aber dann wurde die Musik abgeschaltet, und es wurde still. Obwohl es erst halb neun war, schienen die meisten Leute schon schlafen gegangen zu sein.
Warum stand ich hier? Ich hatte Kerstin noch nie besucht und hatte auch nicht geplant, hierherzugehen, meine Füße hatten mich einfach über die Brücke getragen. Es gehörte sich nicht, abends um halb neun bei Leuten zu klingeln, schon gar nicht, wenn man nicht eingeladen war. Ich glaubte nicht, dass Kerstin mich jemals einladen würde. Sie lud niemanden ein. Ausdrücklich gesagt hatte sie es nicht, aber ich hatte verstanden, was nicht schwer zu verstehen
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