Drachenmonat
nie gehört.«
»Es gab welche im Angebot. Die wollen die Leute dazu bringen, dass sie Lammfleisch essen. Für denselben Preis wie für Blutpudding hab ich sechs kleine Koteletts bekommen.«
»Ich glaub, du willst mich auf den Arm nehmen.«
»Nein.«
»Wo sind sie?«
»Im Kühlschrank natürlich.«
»Und wie bereitet man die zu?«
»Na, man wird sie wohl braten«, sagte ich.
»Lammkoteletts«, wiederholte Mutter, als hätte sie ein neues Wort einer neuen Sprache gelernt. »Ich weiß nicht, ob ich die braten kann.«
»Dann mach ich es«, sagte ich.
Und das tat ich. Ich ging in die Küche, briet die Koteletts und gab Wasser und Mehl in den Bratensud, würzte mit Salz und Pfeffer, und dann kochte alles zu einer Soße zusammen, die wir zu Pellkartoffeln aßen.
Mutter saß im Morgenrock am Tisch. Misstrauisch kaute sie auf einem Stück Kotelettfleisch. »Ich finde, das schmeckt gut«, sagte ich. »Ja …«
»Ich hab geglaubt, das würde wie Omas alte Strickjacke schmecken, aber das tut es nicht.«
»Nein, wirklich nicht.« Mutter betrachtete die Koteletts, als hätte sie dasselbe geglaubt. Oder als erwarte sie, dass es gleich »bäääh« vom Teller blöken würde.
Sie sah mich an.
»Du bist ja ein richtiger Koch, Kenny.«
Ich antwortete nicht. Ich war kein richtiger Koch. Ich kochte nur, damit wir überlebten.
»Wer das Lamm nicht ehrt, ist seines Koteletts nicht wert«, sagte ich.
»Du hast jedenfalls Sinn für Humor«, sagte sie.
»Das ist kein Humor.«
»Was ist Humor dann?«
»Das Schwerste, was es gibt«, sagte ich.
»Vielleicht hast du Recht«, sagte sie.
»Bist du krank?«, fragte ich.
»Wieso fragst du das?«
»Du liegst doch den ganzen Tag im Bett.«
»Ich bin nur müde.«
»Das nenne ich krank.«
Sie antwortete nicht, sondern schaute den Rest Kotelett an, als wäre es nun doch ein Stück Strickjacke geworden. Sie schob es mit der Gabel an den Tellerrand.
»Wenn du krank bist, musst du zum Arzt.«
»Ich war beim Arzt. Das weißt du.«
»Und was hat er gesagt?«
Sie schwieg.
»Was hat er gesagt?«
»Er hat nichts gefunden«, sagte Mutter.
»Aha.«
»Nein.«
»Dann musst du zu einem anderen gehen«, sagte ich.
»Zu wem denn? Doktor Stälhammar ist doch der einzige Arzt im Ort.«
»Zu jemandem, mit dem du reden kannst«, sagte ich.
»Reden? Was meinst du, Kenny? Einfach nur reden? Mit einem Arzt?«
»Ja. Oder so was Ähnlichem.«
»Ich versteh nicht, was du meinst.«
»Du hast die Koteletts nicht aufgegessen«, sagte ich.
»Ich bin plötzlich satt.«
»Was machst du jetzt?«
»Ich muss mich noch eine Weile hinlegen, Kenny. Nur ein Weilchen.«
»Macht Inga heute den Abwasch?«, fragte ich. »Ich hoffe es«, sagte Mutter.
Wenn keiner von uns Lust hatte, abzuwaschen oder aufzuräumen, sagten wir, dass Inga sich dämm kümmern würde. Aber bis jetzt war sie noch nie aufgetaucht.
»Ich mach es«, sagte ich, stand auf und trug die Teller zur Spüle. Auf dem Fenstersims saß ein Vogel, eine Amsel. Sie flog weg, aber nicht weit, nur in den Ahorn, dessen Zweige sich bis zu unserem Fenster streckten. Während ich abwusch, sang die Amsel mir etwas vor.
4
Die Sonne war hinter den Hausdächern verschwunden und ging nun zur anderen Seite der Welt unter. Ich hatte einen großen Wunsch, und das war, einmal nach Japan zu fahren. Vielleicht zu einer der südlichen Inseln. Wohin die ersten Menschen gekommen waren, die Japaner werden würden. Sie kamen viele Jahre lang etappenweise vom chinesischen und koreanischen Festland und von den Inseln in Südostasien. Sie gelangten auf die Insel Kyushu, und von dort eroberten sie Stück für Stück das ganze Land. Es heißt, dass dort zunächst Menschen gelebt hatten, die den Weißen ähnlich sahen, das Volk der Ainu, und dass immer noch Nachfahren von ihnen auf der Insel Hokkaido lebten. Ich würde auch gern nach Hokkaido fahren. Warum eigendich nicht? Im vergangenen Sommer hatte ich einen Japaner gesehen, der mit ausgestrecktem Daumen am Straßenrand gestanden hatte. Janne und ich waren an einem Tag aus dem Camp in die nächste Stadt getürmt. Wenn es ein Japaner per Anhalter bis auf die andere Seite der Welt schaffte, dann müsste ich es doch auch zur entgegengesetzten Seite schaffen.
Draußen war es jetzt dunkel. Der Himmel war immer noch ein wenig blau, und die Dächer hatten scharfe Konturen, wie aus Pappe geschnitten. Manchmal saß ich abends am Fenster und schaute in den Himmel und auf die Häuser und überlegte, was wohl
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