Drachenmonat
der Jungen stellte sich uns in den Weg. »Wohin wollt ihr?«
Er war größer als wir. Er starrte uns noch genauso an wie vorher. Als wären wir seine Feinde. Oder als wollte er, dass wir seine Feinde wurden. Er hatte es entschieden. Manchmal traf man Idioten. Die entschieden sich, mit wem sie Streit anfangen wollten, bevor sie die Person überhaupt kannten. Sie waren bösartig. Manche Menschen schienen von Anfang an bösartig zu sein. Vielleicht war es das Erbe, von dem Krister gesprochen hatte. Es schien Jahre her zu sein, seit wir ihn getroffen hatten. In einem anderen Leben.
»Du gehst nirgendwohin, du kleiner Scheißer!«
Der Junge versetzte mir einen Stoß gegen die Schulter, und ich taumelte ein paar Schritte rückwärts.
»Lass das!«, sagte Kerstin zu dem Idioten.
»Ha, ha, ha«, sagte der und versetzte ihr auch einen Stoß.
»Aua!« Kerstin hatte nicht das Gleichgewicht verloren.
»Brauchst du Hilfe, Sten?«, fragte der andere. Er war herangekommen und hatte sich neben den Idioten gestellt, der uns gestoßen hatte. Sten.
»Es ist okay, Björn«, sagte Sten. »Das sind bloß ein paar Piepmätze, die gern Prügel haben wollen.«
»Was machen die hier so früh am Morgen ohne Mama und Papa?« Björn grinste. »Seid ihr abgehauen?!«
Sten lachte.
»Die könnten nicht mal aus dem Kinderzimmer in die Küche abhauen«, sagte er und machte einen Schritt auf mich zu.
Draußen brummte der Busmotor. Der Bus würde bald abfahren. Dann würde mehrere Stunden keiner mehr in die Richtung fahren, in die wir wollten.
»Wir müssen den Bus erwischen«, sagte ich.
»Wenn ihr mit dem Bus fahren wollt, dann müsst ihr Geld für die Fahrkarten haben«, sagte Björn. »Her damit!«
»Was?«, sagte Kerstin. »Seid ihr verrückt?«
»Was hast du da gesagt, du Miststück?« Björn packte Kerstin an der Jacke.
»Lass sie los!«, sagte ich.
»Hör dir den an.« Sten schubste mich wieder. »Her mit dem Geld!«
»Sonst bezieht ihr beide Prügel, du und deine Frau!«, sagte Björn. Sten lachte.
»Mit was fuchtelst du denn da rum?«, sagte Björn.
Ich hatte mein Katana gezogen. Bisher schien er es gar nicht bemerkt zu haben. Oder er dachte, es sei nur ein Spielzeug.
»Spielst du Krieg?«, sagte Sten. »Ha, ha, ha.«
Er hob die Hand, um mich wieder zu stoßen. Oder fester zuzuschlagen.
»Ich glaube, jetzt setzt es doch Haue, du Zwerg.«
Die Schwertspitze traf ihn mitten in der Handfläche. Ich zog das Schwert zurück. Vielleicht hatte ich seine Hand durchbohrt, aber das hoffte ich nicht.
»AUUU!«, schrie er.
»Was ‘n los?«, sagte Björn.
Sten war in die Knie gegangen und presste seine Hand gegen den Bauch, wie um sie zu schützen. Ich konnte nicht sehen, ob sie blutete.
»Aua, aua, aua«, jammerte er jetzt leiser.
»Du kleiner Mistkerl.« Björn machte einen Schritt auf mich zu, und ich zielte auf seine Kniescheibe. Ich spürte, dass die Schwertspitze auf etwas Hartes stieß.
»AUUUUU!«
Sten schaute auf.
Björn war auf dem Boden zusammengesunken und hielt sich das Knie.
»Der bringt uns um!«, schrie er und sah aus, als glaubte er es. Er war kein bisschen mehr großkotzig. Ihm war klar geworden, dass mein Katana länger war als sein Arm. Und schärfer.
»Mörder! Mörder!«, schrie Sten.
Er schrie, als hoffte er, die Frau, die vor einer Weile hinausgegangen war, werde zurückkommen und ihn mit ihrem Schirm retten.
Kerstin zog das Wakizashi. Sie hatte es an ihrem Gürtel getragen, seit wir von dem Jahrmarktgelände geflohen waren.
»Wollen wir ihre Köpfe mitnehmend«, fragte sie.
»Das müssen wir«, sagte ich. »Das ist Gesetz der Samurais.«
Kerstin machte einen Schritt auf Sten zu, der am nächsten lag.
»Nein, nein!«, schrie er und hielt seine verletzte Hand schützend vor sich. Der Bus draußen brummte laut.
»Ich glaub, der Bus fährt gleich ab«, sagte ich. »Wir schieben es auf bis zum nächsten Mal.«
»Okay«, sagte Kerstin. Wir stürmten aus dem Wartesaal und sprangen in den Bus, dessen Türen sich sofort hinter uns schlossen.
Der Fahrer nahm das Fahrgeld entgegen, während er schon vom Platz fuhr.
Niemand kam uns aus dem Wartesaal nachgestürzt.
Kerstins Wangen waren rot. Sie sah glücklich aus. Von einem richtigen Kampf bekam man gute Laune, wenn man nicht selbst den Kopf verlor.
»Das hätte mein erster Skalp werden können«, sagte sie.
»Kein Skalp«, sagte ich. »Die Indianer nehmen Skalps. Und die Weißen auch. Die Samurais nehmen den ganzen Kopf.«
»Ich weiß«, sagte
Weitere Kostenlose Bücher