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Drachenmonat

Drachenmonat

Titel: Drachenmonat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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für Schnee.
    Schließlich legte ich das Katana wieder auf den Fußboden und setzte mich aufs Sofa. Irgendwo in der Feme heulten die Sirenen eines Polizeiautos oder Krankenwagens. Am Tag hörte man das nicht oft. Nachts wurden alle Geräusche lauter. Vor dem Fenster schrie ein Vogel. Ich war es nicht gewohnt, so spät wach zu sein. Das war gar nicht schlecht. Dann konnte man leichter nachdenken. Ich dachte an Schlösser und an Japan und versuchte auszurechnen, wie weit die Vogelfluglinie bis Japan war. Im Liegen konnte man auch besser rechnen. Ich war überhaupt nicht schläfrig. Es war nur etwas bequemer. Ich hatte so lange mit dem Katana trainiert, dass mir die Schulter wehtat. Ich stupste mein Kissen zurecht und streckte die Beine aus. Und dann schlief ich auch schon.
     
    »Kenny? Kenny!«
    Jemand schüttelte meine schmerzende Schulter. Das war unnötig. Es wäre besser gewesen, die andere Schulter zu schütteln.
    »Kenny!«
    Ich öffnete die Augen.
    Kerstin stand neben dem Sofa. Sie nahm die Hand von meiner Schulter. Sie konnte ja nicht ahnen, dass ich heute Nacht trainiert hatte.
    »Kenny, es ist sechs.«
    »Aha … ja … sechs.« Ich war immer noch nicht ganz wach und richtete mich auf.
    Der Wecker auf der Kommode zeigte einige Minuten nach sechs.
    »Du bist eingeschlafen«, sagte Kerstin, aber ihre Stimme klang nicht vorwurfsvoll.
    »Das wollte ich gar nicht«, sagte ich. »Es ist wohl einfach über mich gekommen. Da hatte ich keine Chance.«
    »Komisch, dass ich aufgewacht bin«, sagte Kerstin. »Du hast einen eingebauten Wecker.«
    »Wir müssen jetzt los.«
    Ich stand auf und ging zum Fenster. Hinter dem Rollo war es noch dunkel. Ich spähte durch einen Spalt zwischen Rollo und Wand. In einer Stunde würde es hell werden, vielleicht schon eher. Ich drehte mich um. Kerstin band ihre Schnürsenkel zu.
    »Willst du immer noch weg?«
    »Ich binde doch schon meine Schuhe zu!«
    Ich ging zurück zum Sofa und lauschte an der Wand. Es war nichts zu hören.
    Kerstin richtete sich auf.
    »Auf der Treppe müssen wir schleichen«, sagte ich. »Sonst werden sie wach.«
    »Lass uns gehen«, sagte sie.
    Die Tür knarrte. Wir blieben im Flur stehen. Von unten war immer noch nichts zu hören.
    Die Treppe knarrte nicht, aber wir machten nach jedem Schritt eine Pause.
    In der Diele war es still. Von hier konnte ich einen Teil der Küche sehen. Ist es feige, abzuhauen?, dachte ich. Werden sie enttäuscht sein? Ich sollte ihnen einen Brief schreiben.
    Als wir vor dem Haus standen, hörte ich eine Eule. Sie schrie dreimal. Auf dem Rasen schaute ich mich um. Es sah aus, als würde jemand an einem der Fenster im Erdgeschoss stehen. Kerstin hatte es nicht bemerkt. Sie war schon auf der Straße. An der Gartenpforte sah ich mich noch einmal um.
    Die Gestalt stand immer noch am Fenster und rührte sich nicht. Und dann waren wir auf der anderen Straßenseite und auf dem Weg zum Busbahnhof.
     
    Während wir im Wartesaal saßen, fing es sachte an zu regnen. Es war ein dünner Regen, ich konnte die Regentropfen an den Scheiben fast zählen. Wir waren allein im Wartesaal.
    Wir hatten ausgetüftelt, dass wir die halbe Strecke mit dem Bus und die andere Hälfte mit dem Zug zu Kerstins Großmutter fahren könnten. Das wäre die schnellste Art. Wenn alles klappte, kamen wir am frühen Abend dort an. Das Geld müsste gerade für die Fahrkarten reichen und vielleicht auch noch für ein Frühstück. Kerstin hatte erzählt, dass ihre Großmutter leckere Pfannkuchen im Backofen backen konnte. Wenn sie Telefon gehabt hätte, hätten wir anrufen und für den Abend Pfannkuchen bestellen können.
    Eine Frau betrat den Wartesaal und klappte ihren Schirm zu. Sie sah uns an, sagte jedoch nichts. Einige Minuten später kamen zwei Jungen herein. Sie waren ein paar Jahre älter als wir. Ihre Jacken waren nass, sie mussten ziemlich lange durch den Regen gegangen sein. Aber die Nässe kümmerte sie offenbar nicht. Einer von ihnen starrte mich an. Er sagte etwas zu einem anderen, der mich daraufhin auch anstarrte. Sie hatten sich nicht auf eine der Bänke gesetzt.
    Draußen fuhr ein Bus vor. Jetzt regnete es stärker. Durch die vom Regen gestreiften Scheiben wirkte der blaue Bus fast grün. Der Fahrkartenschalter im Busbahnhof war noch nicht geöffnet. Man musste die Fahrkarten beim Fahrer kaufen.
    Die Frau stand auf, öffnete ihren Schirm und ging hinaus.
    »Ich glaub, das ist unser Bus«, sagte ich.
    Wir standen auch auf und gingen auf die Tür zu. Einer

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