Drachenmonat
murmelten, einzelne Wörter konnte ich nicht verstehen. Aber ich glaubte, dass sie über uns redeten.
»Schläfst du, Kerstin?«
»Nein.«
»Ich dachte, du schläfst schon. Du warst doch so müde.« Sie antwortete nicht.
»Kerstin?«
»Ja, was ist?«
»Hörst du sie reden?«
»Wen?«
»Siv und Lasse natürlich.«
»Ich hör nichts.«
»Hier kann man es hören.« Ich zeigte auf die Wand. »Da drinnen ist ein Luftschacht, und dadurch hört man Stimmen von unten.«
»Ich will das gar nicht hören«, sagte Kerstin.
»Ich glaub, die reden über uns.«
»Es wäre seltsam, wenn sie es nicht täten.«
»Ist es nicht komisch, dass wir hier schlafen dürfen?«
»Siv weiß wohl nicht recht, was sie tun soll«, sagte Kerstin.
»Pass auf, morgen sagt sie, dass wir uns bei der Polizei melden müssen.«
»Ich will erst zu meiner Großmutter«, sagte Kerstin, »bevor wir nach Hause fahren.«
»Eigendich waren wir ja auch auf dem Weg zu deiner Großmutter«, sagte ich.
»Nachdem wir deine Großmutter getroffen haben, möchte ich meine erst recht sehen«, sagte Kerstin. »Jetzt mach ich mir Sorgen um meine.«
»Wir haben meine Großmutter gerettet«, sagte ich.
In dem Augenblick wurden die Stimmen von unten lauter, aber ich konnte immer noch nichts verstehen.
»Ist es nicht komisch, dass Lasse auch bleiben durfte?«, sagte ich.
»Vielleicht mögen sie sich«, sagte Kerstin. »Geht das so schnell?«
»Ich weiß es nicht, Kenny.«
»Vielleicht zieht er bei ihr ein«, sagte ich. »Das haben sie dann uns zu verdanken.«
»Vielleicht werden wir zur Hochzeit eingeladen«, sagte Kerstin.
»Schh«, machte ich.
»Was ist?«
»Psst!«
Und plötzlich verstand ich es ganz deutlich.
»… aber wir müssen was dagegen unternehmen.«
Es war Sivs Stimme.
Ich legte das Ohr gegen die Tapete.
Kerstin stand auf und kam zu mir. Ich rutschte zur Seite, und sie setzte sich neben mich und versuchte auch zu lauschen.
»Wir werden morgen mit ihnen reden«, hörte ich Lasse sagen.
»Sie müssen so schnell wie möglich nach Hause«, sagte Siv Beckman. »So geht das einfach nicht.«
»Nein, so geht das wohl nicht.« Es klang, als würde Lasse husten.
»Ich lasse sie wider besseres Wissen hier übernachten.«
»Mich doch auch«, sagte Lasse. »Das war nun wirklich wider mein besseres Wissen!«
»Deins oder meins?«
Und wir hörten ein Lachen und ein Knacken und noch ein Knacken, als würde ein Bett quietschen. Einer von beiden murmelte wieder etwas, aber jetzt war nichts mehr zu verstehen.
»Wir müssen sofort weg«, sagte ich.
21
»Wir müssen schlafen, Kenny.« Kerstin legte eine Hand auf meinen Arm. »Ich kann nicht mehr. Und morgen wollen wir doch deine Großmutter besuchen.«
»Sie ist in guten Händen«, sagte ich. »Ich werde sie später besuchen.«
»Vielleicht wartet sie auf dich.«
»Aber verstehst du nicht? Wenn die beiden uns morgen der Polizei oder dem Jugendamt übergeben, hat unsere Flucht überhaupt keinen Sinn gehabt.«
»Hat sie wohl.«
»Wir wollen aus freien Stücken nach Hause gehen, und wann, das wollen wir selber bestimmen.«
»Willst du denn nach Hause?«
»Ja. Jetzt will ich das. Als ich Großmutter gesehen habe, wusste ich, dass ich zu meiner Mutter will. Sie weiß nicht, dass Großmutter krank ist. Vielleicht wird sie selber gesund, wenn sie erfährt, dass ihre Mutter krank ist.«
»Vielleicht…«
»Ich glaube das. Aber kein Erwachsener darf darüber entscheiden, wann wir nach Hause gehen.« Kerstin schwieg. »Kerstin?«
»Ich bin noch nicht fertig mit dem Abhauen«, sagte sie. »Nein, ich hab doch gesagt, dass wir jetzt türmen müssen!«
»Morgen, meine ich. Wir ziehen morgen weiter, wenn wir ein bisschen geschlafen haben.«
»Wohin denn?«
»Zu meiner Großmutter. Ich möchte auch meinen Bruder sehen.« Ich nickte.
»Wenn wir sofort nach Hause zurückkehren und das Jugendamt sich einmischt, werde ich die beiden wahrscheinlich lange nicht sehen. Wenn Mama … immer noch nicht gesund ist.«
Ich nickte wieder.
»Meine Großmutter ist auch schon sehr alt«, sagte Kerstin. »Sie könnte krank werden.«
»Aber vielleicht verschlafen wir morgen früh«, sagte ich. »Dann können wir nicht einfach abhauen.«
»Wir können ja abwechselnd schlafen«, schlug Kerstin vor. »Haben die Samurais das nicht im Krieg genauso gemacht?«
»Klar, das wurde Feuerwache genannt.«
»Dann können wir es wohl auch tun?«
»Okay, ich übernehm die erste Wache. Zwei Stunden.«
Ich nickte
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