Drachenpfade - Lukianenko, S: Drachenpfade - Ne wremja dlja drakonow
Moment über dem Tisch oder auf dem Boden neben der Milchpfütze zusammenzubrechen.
»Das wollte ich nicht …« Viktors Zorn verrauchte. Das Bewusstsein, dass der Fresssack jetzt sterben und ihn allein in dieser schrecklichen, leblosen Kulisse zurücklassen würde, überstrahlte alles. »Ich …« Er stürzte auf den Zwerg zu, nicht um ihm zu helfen, sondern um neben ihm zu sterben, falls …
»Hahaha!« Der Fresssack schüttelte sich vor Lachen. »Ausgezeichnet!«
Viktor heftete den Blick auf die beiden Handflächen, die der andere ihm entgegenstreckte, und erstarrte. Kein Blut, und auch auf dessen Brust war keine Wunde zu sehen. Sogar das schmutzige Hemd war völlig unversehrt.
»Du Ekel …«
»Nein, was für ein Spaß, nicht wahr?« Der Zwerg war kein bisschen verärgert, sondern strahlte vor Begeisterung. »Ich sehe, du enttäuschst mich nicht, mein Freund!«
Eine schwere Hand schlug Viktor auf die Schulter, auch wenn der Fresssack sich dafür auf die Zehenspitzen stellen musste.
»Aber du bist noch zu langsam«, erklärte der Dicke. »Nein, ich verstehe schon, dort ist es kein Zuckerschlecken für dich, und dann machst du endlich die Äuglein zu und hast hier wieder keine Ruhe … Trotzdem, denk dran. Die
Zeit bleibt nicht stehen. Da braut sich was zusammen. Deshalb … rühr dich, so schnell du kannst. Beim nächsten Mal …«
Alles überzog sich mit einem Schleier. Zum ersten Mal spürte Viktor den Moment des Aufwachens nicht unvermittelt, nicht wie einen zielstrebigen Übergang vom Schlafen zum Wachen, sondern wie einen langsamen Prozess. Als ob er gezogen würde … von einer Welt in die andere, durch einen zähflüssigen Sirup …
»Viktor …«
Er öffnete die Augen.
Die Sonne stand bereits hoch. Er hatte einen guten Platz ausgesucht, denn durch das Laub drangen nur vereinzelte Lichtstrahlen. Das Feuer war runtergebrannt, vom verkohlten Holz stieg nur noch ein Rauchfaden auf. Sein Körper hatte gänzlich aufgehört zu schmerzen.
Neben ihm kauerte Tel. Im kurzen weißen Rock und weißer Bluse. Ordentlich gekämmt. Auf ihren Nägeln glitzerte frischer Goldlack. Wo, bitte schön, zog sie sich um und machte sich so zurecht?
Viktor streckte sich ihr schweigend entgegen und fasste ihre Hand. Er begriff sehr wohl, dass die Situation grenzenlos zweideutig war … oder besser gesagt, eindeutig; und zwar noch viel mehr als ihr Toben ums Lagerfeuer oder das vorgetäuschte Stöhnen im Zugabteil. Jetzt war er völlig nackt. Und trotzdem hatte seine Berührung keinen Hauch von Erotik an sich. Sie entsprang dem einfachen Wunsch, die Gegenwart eines lebendigen Wesens zu spüren.
»Hat es dich schwer erwischt?«, fragte Tel leise und mit ehrlicher Reue.
»Sieht man das nicht?«
»Nein.«
Viktor blickte auf seine Schulter. Es war nicht die kleinste Spur eines Blutergusses zu erkennen. »Ich hatte wieder einen schrecklichen Traum.«
Tel nickte, als verstünde sie ihn.
»Dreh dich um, damit ich mich anziehen kann«, bat Viktor. Tel drehte sich gehorsam um. Viktor stand auf und merkte leicht verwundert, dass seine Erschöpfung ebenso wie alle Prellungen und Schürfungen verschwunden war. Wie gut das Schlafen an der frischen Luft tat!
Er schlüpfte in die Jeans, und erst daraufhin fühlte er sich berechtigt, die nächste Bemerkung zu machen. Oder zumindest seine Gekränktheit zum Ausdruck zu bringen.
»War das nötig?«
»Was?«, fragte Tel, ohne sich umzudrehen.
»Mich einer Gruppe wahnsinniger Magier zum Fraß vorzuwerfen? Erst dort am Fluss …« Viktor redete sich in Rage. »Weiß du eigentlich, was da los war? Wie ich da rausgekommen bin? Warum hast du das überhaupt alles angezettelt, Tel? Damit ich unter ökologisch einwandfreien Bedingungen sterbe? Ich würde lieber in einer dreckigen Stadt leben ! Denkst du, ich bin dein Spielzeug? Eine Plüschmaus zum Aufziehen? Wenn du magst, dann spielst du mit ihr, und wenn du keine Lust mehr hast, lässt du sie an der nächsten Ecke liegen? Na? Was schweigst du, Mädchen?«
»Die Strömung hat mich fortgetragen, Viktor. Ich konnte nichts dagegen tun. Ich habe dir alle meine Kräfte überlassen.«
Viktor schwieg.
»Das ist eine Etappe. Die erste Initiation. Der Weg zur Kraft. Wenn du ihrer nicht würdig bist – kann er tödlich enden. Aber selbst wenn du ihrer würdig bist, ist die Gefahr groß. Ich habe dir geholfen, so gut ich konnte …«
Zerstreut bewegte Tel den Finger durch den Sand und malte irgendwelche Buchstaben. »Ich hatte nie Angst vorm
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