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Drachenpfade - Lukianenko, S: Drachenpfade - Ne wremja dlja drakonow

Titel: Drachenpfade - Lukianenko, S: Drachenpfade - Ne wremja dlja drakonow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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war der Junge sicher kein Gespenst, denn Viktor hörte nicht nur seine Stimme, sondern auch das schleppende Geräusch seiner Schritte und das Klacken der Kalaschnikow, deren Patronenmagazin sich immer wieder an der Gürtelschnalle festhakte, und er nahm Brandgeruch und Schweiß wahr.
    »Mit wem will er abrechnen?«, fragte Viktor mit gepresster Stimme.
    »Woher soll ich das wissen?«, ereiferte sich der Fresssack. Während er sich nachlässig gegen die Mauer eines Gebäudes lehnte, pulte er mit gekrümmtem Finger eine zerdrückte Kugel aus einem pockennarbigen Einschussloch. »Ist es wirklich wichtig, wen er fürchtet und hasst?«
    Ein Teil der Mauer stürzte unmittelbar neben dem Fresssack herunter. Aber der ließ sich nicht stören.
    »Es ist nur eine primitive Fantasie«, sagte er, während er hinter dem Soldaten hersah. »Städte brennen, Häuser stürzen
ein; Kinder weinen; Frauen werden vergewaltigt, Männer ermordet …«
    »Eine Fantasie?«
    Der Fresssack dachte nach, während er die Kugel zwischen den Fingern knetete. Der Bleiklumpen erhielt wieder eine glatte Wölbung und nahm seine ursprüngliche Gestalt an. »Na ja … vielleicht nicht gerade eine Fantasie …«, bekannte er widerwillig. »Wahrscheinlich hast du Recht …«
    Seine Augen leuchteten auf.
    »Na und«, fragte er glühend vor Neugier, »hast du so was schon mal erlebt?« Er beschrieb mit den Armen einen Kreis, gerade so, als wollte er Viktor die ganze Umgebung vorführen.
    »Nein«, antwortete Viktor. »Nein.«
    Der Fresssack nickte verständnisvoll.
    »Wird er es schaffen?«, fragte Viktor und blickte dem Soldaten hinterher. Der Junge war soeben hingefallen, erschöpft und im Schneckentempo rappelte er sich wieder auf. Die tote Last störte ihn.
    »Was macht das schon für einen Unterschied?« Der Fresssack kam wieder in Fahrt. »Was berühren dich die Abenteuer dieses Körpers? Hä? Denkst du etwa, er ist im Recht?«
    »Weiß ich nicht.«
    »So, so, natürlich! Hast hier angehalten … gaffst rum … ach! Aber was hab ich dir gesagt? Flieg bis zum weißen Rauch, hab ich gesagt. Das ist noch weiter!«
    »Ich finde es hier auch interessant.« Während Viktor die Worte aussprach, wurde ihm bewusst, wie unpassend sie waren. Interessant? Was redete er für einen Unsinn …
    Dafür wurde der Fresssack wieder freundlicher. »Na dann … schau dich um … lern was. Ich werd dich nicht zwingen …«
Er drehte sich um und humpelte ungeschickt auf das rauchende Innere des Gebäudes zu.
    »Verbrennst du nicht?«, rief Viktor ihm hinterher.
    Der Fresssack kicherte nur leise, während er immer tiefer in den Dunst hineinging. »Keine Angst … kümmere dich lieber um dich selbst …«
    Viktor spuckte auf den Boden und verfluchte sich für seine unangebrachten Sorgen. Diesem Bewohner seiner Alpträume brauchte er gewiss keine Ratschläge zu geben.
    Sollte er tatsächlich den weißen Rauch suchen?
    Aus irgendeinem Grund hatte er keine Lust, seine Reise durch diese herrenlose Welt fortzusetzen. Als ob die letzten Worte des Fresssacks einen ernsten Hintergrund gehabt hätten …
    Seine Unruhe wuchs. Sie schien durch nichts gerechtfertigt, was sie noch drängender machte.
    Er drehte sich um und fing einen fremden Blick auf. Auf dem scherbenübersäten Asphalt, unter einem zerschlagenen Schaufenster, saß eine Katze. Eine rothaarige Katze mit durchdringend blauen Augen. Sie blickte so nachdenklich prüfend, wie es nur Menschen … und Katzen vermögen.
    »Kusch!«, sagte Viktor, leicht verwirrt von seiner eigenen abwehrenden Reaktion. Dabei war anzunehmen, dass ein streunender Hund sehr viel unberechenbarer war als dieses Tier hier, trotzdem, die Hündin hatte ihm keine Angst eingeflößt …
    Die Katze hob die Pfote – entweder um einen Schritt zu tun oder um ihn zu begrüßen. So kam es ihm jedenfalls vor!
    Und Viktor begriff, augenblicklich und absolut, dass es an der Zeit war, aufzuwachen.

    Wahrscheinlich half ihm die Angst. Wahrscheinlich half das ekelerregende Gefühl, das die tote Stadt in ihm heraufbeschworen hatte.
    Er tauchte aus dem Schlaf auf, wie ein dünner Schwimmer aus eiskaltem Wasser auftaucht. Er spürte, dass er auf dem harten Deck lag, fühlte die grobe Matte unter sich, die zerfetzte Decke und wie Tel sich warm an ihn drückte. Er warf sich nach vorn, um sich aufzusetzen. Vom Schlaf blieb keine Spur zurück.
    Fünf Meter von ihm entfernt stand eine Frau. Eine sehr attraktive Frau, die selbst in ihrer Reglosigkeit eine unvorstellbare

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