Drachenpfade - Lukianenko, S: Drachenpfade - Ne wremja dlja drakonow
Grazie ausstrahlte. Sie hatte goldfarbenes Haar, sehr zarte, matte Haut und riesige Augen, die aufmerksam und fragend blickten. Genau wie die Katze im Traum, aber selbst dieser überraschende Vergleich konnte Viktor nicht aufheitern.
An ihr war auch etwas von jenen mörderischen Magiern … vielleicht nicht ganz so blutrünstig, aber nicht weniger mächtig. Kraft! Genau – es war Kraft, die von ihr ausging. Viel größere Kraft als die, die dem Menschen gegeben ist.
Loj saß am Rand des Kanals. Sie war müde, hatte alle ihre Kräfte aufgebraucht, aber dafür konnte sie sicher sein, dass sie allen Elementaren voraus war. Auf dem Kanal würde Ritor dem Drachentöter kaum eine Falle stellen. Nein, der erfahrenste aller Magier würde sein Opfer vermutlich auf dem Weg zur Festung des Erdclans abfangen wollen. Eine vernünftige Entscheidung, denn der Drachentöter würde nicht einfach verschwinden. Er hatte nur einen Weg.
Aber Ritor wusste nichts von Loj, und das kitzelte angenehm ihre Eigenliebe. Wie eine geschmeidige Eidechse glitt
sie zwischen allen Plänen und Absichten hindurch, ohne von irgendjemandem bemerkt zu werden, ohne dass irgendwer auch nur mit ihr rechnete, um zum richtigen Zeitpunkt ihr eigenes Spiel zu spielen.
Loj hatte keine Angst, dass der Mensch, den sie suchte, ihr entwischen könnte. Denn sie würde seine Kraft, selbst wenn diese schlummerte, unfehlbar spüren. Die entsprechende Beschwörungsformel hatte sie den letzten Rest ihrer Kraft gekostet, ja, aus ihr herausgesaugt, aber die starrköpfige Katze hielt durch. Ausruhen konnte sie später. Jetzt war die Zeit gekommen, vorbehaltlos alles zu geben.
In einem dichten Strom glitten Kähne und Flöße an ihr vorbei. Loj wurde immer wieder angesprochen, gefragt, ob sie nicht zusteigen wollte. Was nicht weiter verwunderlich war, denn was eine junge Frau allein am Kanalufer tat, das war auch dem größten Einfaltspinsel klar. Sie wollte sich was dazuverdienen. Und wenn nicht – nun, so dumm würde sie schon nicht sein, dass sie nicht wusste, was die Seeleute am meisten als Dankeschön fürs Mitnehmen schätzten …
Früher hätte Loj vermutlich über eine Reihe von Angeboten nachgedacht; und einige hätte sie womöglich angenommen. Nicht so dieses Mal.
Der Kahn war leer … der auch … leer, leer. Auf dem wurde getrunken, dort … hatten sie Sex, ja, wie süß … hier schliefen alle … auf diesem wurde gewürfelt … das Floß nicht, das auch nicht!
Aber plötzlich hatte sie das Gefühl, Feuer zu fangen. Es war ein ganz gewöhnlicher Kahn mit dem stolzen Namen Elberet , der gemächlich vorbeizog; und auf ihm, ja, auf ihm …
Loj schrieb alle Vorsicht in den Wind und überwand mit einem gewaltigen Sprung wie ein Panther das Wasser zwischen
sich und dem Boot. Es war ein außerordentlicher Satz über zehn Meter und dazu noch aus dem Stand.
Der groß gewachsene, dünne Kerl hinter dem Steuerrad riss vor Verwunderung die Augen auf. Er brauchte ein, zwei Sekunden … ehe er begriff, dass ein normaler Mensch kaum zu so einem Sprung in der Lage wäre. Eilig verbeugte er sich und stand unruhig da … Nein, es war sinnlos, sich jetzt noch vor ihm zu verbergen.
»Verschwinde«, befahl Loj leise. »Und lass dich nicht blicken, bis ich es gestatte.«
»Gleich, gleich, meine Dame …«
Loj versiegelte die Luke zum Deckhaus mit einer simplen Formel, damit der Kapitän des Kahns nicht auf die Idee käme zu lauschen. Beiläufig tasteten ihre Sinne das Boot ab, sie nahm einen feinen Strudel Grasgeruch wahr und runzelte voller Abscheu die Stirn, beschloss aber, sich nicht weiter darum zu kümmern. Am Bug des Schiffes erblickte sie zwei Gestalten auf einer Bastmatte unter einer dünnen Decke. Ein ganz junges Mädchen von vielleicht vierzehn und ein äußerlich nicht weiter auffälliger, schwarzhaariger Mann, der etwas über dreißig sein mochte. Sie schliefen nebeneinander, aber sonst lief nichts zwischen ihnen; das hätte Loj sonst als Erstes gemerkt.
Das Mädchen war irgendwie merkwürdig …
Und ihr Begleiter noch merkwürdiger. Loj spürte erneut die Hitze, sobald sie auch nur mit einer zarten, unschuldigen Formel nach ihm tastete. Die Schranke der Kraft war so gewaltig, dass ihr nichts anderes übriggeblieben wäre, als schweres Geschütz aufzufahren, sofern sie es auf einen Kampf abgesehen hätte.
Aber genau das kam überhaupt nicht in Betracht. Der Mann und das Mädchen schliefen weiter … und das war
gut so. Sobald Loj jedoch einen Schritt
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