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Drachenpfade - Lukianenko, S: Drachenpfade - Ne wremja dlja drakonow

Titel: Drachenpfade - Lukianenko, S: Drachenpfade - Ne wremja dlja drakonow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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aus Versehen auf ein Spielzeug aus Plastik tritt oder wenn trockene Äste im Wald brechen. Die Wand, die Viktor zugewandt war, erzitterte, fiel in sich zusammen und offenbarte das leere, entweder von einer Explosion ausgehöhlte oder ausgebrannte Innere des Gebäudes. Auf den Überresten der Trägerdecken, etwa auf Höhe des dritten Stocks, wurde ein
schäbiges Zimmer sichtbar, in dem sich Berge von Müll und rauchende Trümmer türmten. Aus der Zimmerdecke, die sich nach unten bog, ragten Betonzapfen heraus. Wie zum Hohn stand in einer Ecke ein altes Bettgestell aus Eisen, dessen Sprungfedern vom Feuer schwarz geworden waren.
    Unwillkürlich hob Viktor seinen Arm; irgendetwas an diesen Überbleibseln forderte ihn heraus, machte sich lustig über ihn. Die gespannte Faust des Windes ging auf die Ruine nieder und entfachte das Feuer im Zimmer neu, das glühend heiße Metall des Bettes loderte auf wie in einem Schmiedeofen, durchlief nacheinander alle Glühfarben, ehe es in einer Flammenpfütze zerschmolz.
    Hinter sich vernahm Viktor ein leises Geräusch. Er drehte sich um.
    Mitten auf der Straße stand ein Hund. Ein großer Hund, ein Dobermann oder ein Rottweiler, mit gefletschten Zähnen und einem blutenden Rückgrat. Die einst vermutlich gut genährte und mächtige Hündin war in einem schrecklichen Zustand. Sogar ihr weit geöffneter Rachen hatte nichts Furchteinflößendes mehr, sondern wirkte jämmerlich und bettelnd: Dieser Hund drohte nicht, er versuchte nur auf sich aufmerksam zu machen.
    Viktor ließ sich in die Hocke nieder. Er streckte die Hand aus und blickte der Hündin in die Augen.
    Diese machte einen unsicheren Schritt nach vorne und versuchte mit ihrem Schwanzstumpf zu wedeln.
    »Ist es schlimm?«, sagte Viktor mit gedämpfter Stimme. »Komm her. Guter Hund. Guter Hund …«
    Die Hündin winselte leise. Dann drehte sie sich um und lief eilig davon.
    »Du traust mir nicht?«, rief Viktor ihr hinterher. »An deiner Stelle würde ich auch niemandem mehr trauen …«

    Wieder fiel ein Gebäude in sich zusammen, diesmal sehr viel lauter. Eine Wolke aus Staub, Abfall und Ruß machte sich breit, aber Viktor blieb davon unberührt, denn sie prallte an den Rändern seines Luftkokons ab.
    »Und, hast du genug gesehen?«
    Der Fresssack stand hinter ihm. Er atmete schwer und wischte sich den Schweiß von der glänzenden Visage. Es war ihm offenbar nicht leichtgefallen, Viktor einzuholen.
    »Wovon?«, fragte Viktor und erhob sich.
    »Natürlich …« Der Fresssack gähnte gekünstelt. »Was soll man hier auch anschauen, hä? Es wird ja wohl kaum einer übrig geblieben sein … autsch!« Er schüttelte den Kopf. »Ich hab gelogen … gelogen …«
    Viktor folgte seinem Blick. Er fürchtete jetzt keinen Schlag aus dem Hinterhalt mehr, der Fresssack verfolgte andere Absichten; und außerdem glaubte Viktor an seine neue Kraft, die so unerwartet aufgetaucht war.
    Ein Junge schleppte sich die Straße entlang. Er war vielleicht neunzehn oder zwanzig Jahre alt, dünn und kniff kurzsichtig die Augen zusammen. Er trug eine Tarnuniform, die so verschmiert war, dass nicht zu erkennen war, ob der Soldat zu einer echten, nationalen Armee gehörte oder ebenso standardisiert war wie die Stadt selbst. Über der Brust hing eine gewöhnliche Kalaschnikow – aber auch die war ja schon ein auf der ganzen Welt geläufiger Gegenstand. Über die Schultern des Jungen wölbte sich ein selbst gemachter Rucksack, besser gesagt ein Sack mit Aussparungen für zwei Beine, denn in diesem Sack hing schlaff ein menschlicher Körper. Ebenfalls ein junger Mann … nur war er tot. Sein Kopf baumelte willenlos, seine Uniform war mit dunklen Flecken übersät.

    »Wir schaffen das …«, murmelte der Soldat vor sich hin. Er war noch weit entfernt, aber der diensteifrige Wind trug Viktor jedes Wort zu. »Scheiße, wenn wir es nicht schaffen …«
    Offenbar sah er Viktor und den Fresssack nicht.
    »Mit denen rechnen wir noch ab … keine Sorge …«
    Seine Stimme war heiser, als hätte der Junge lange nichts getrunken, als hätte er mit überschlagender Stimme geschrien und alles gesagt, was zu sagen gewesen war.
    »Für die Jungs und für uns … rechnen wir noch ab … wenn wir nur erst da sind … gleich haben wir es geschafft …«
    Er ging ganz nah an ihnen vorbei, Viktor trat sogar zur Seite; aber wie es aussah, war das ganz überflüssig, denn der Soldat ging geradewegs durch den grinsenden Fresssack hindurch, ohne ihn zu bemerken. Andererseits

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