Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Drachenpfade - Lukianenko, S: Drachenpfade - Ne wremja dlja drakonow

Titel: Drachenpfade - Lukianenko, S: Drachenpfade - Ne wremja dlja drakonow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
Vom Netzwerk:
die Berge umwob und das Meer überspannte. Er lag auf einer Brücke aus Luft, die von den Grauen Bergen bis zum Warmen Ufer reichte, auf der unvorstellbaren Macht des Elements.
    Er spürte jede Bewegung der Luft. Den Hurrikan, der über dem Meer tobte und das Segel einer glücklosen Corvette in Fetzen riss … Den Tornado, der mit seinem gierigen Rüssel fragile Häuschen zerfetzte … Den Sandsturm, der sich wie ein glühendes Leichenhemd über eine Karawane legte …
    Die Luft schaukelte ihn sanft, trug ihn über den Wald. Gehorsam, beherrscht, zu allem bereit.
    Viktor lachte auf, so leicht und märchenhaft war dieser Flug. Er war eins geworden mit dem Ozean der Luft. Wenn auch nur im Traum. Wenn auch nur für einen Augenblick.
    Der Fresssack war am Ufer zurückgeblieben und wütete weiter vor sich hin. Jetzt stampfte er mit den Füßen auf wie ein verwöhntes Kind, und dann packte er in einem neuerlichen Wutanfall einen halb von Sand verschütteten Findling und schleuderte ihn aufs Meer hinaus. Oho, was für eine Kraft …
    Viktor dachte gar nicht darüber nach, was er tat. Er streckte sich übers Meer nach dem Findling aus, der schon fast ins Wasser getaucht war, spürte die aufs Ufer zurollende Welle – die gespannte, an dieser Stelle zerbrechliche Kraft. Und dann gab er dem Stein einen Stoß. Dieser erzitterte und flog zurück. Er plumpste dem Fresssack direkt vor die Füße, so dass dieser mit einem lächerlichen Sprung zur Seite hüpfte. Na also …

    Die Luft trug Viktor immer weiter. Die verwahrloste Lichtung mit dem verlassenen Haus zog vorbei. Einen Moment lang war er versucht, dort zu landen und nachzusehen, ob die Bewohner nicht vielleicht zurückgekommen waren; augenblicklich verlor er an Höhe.
    Aber nein. Vorwärts. Was hatte der Fresssack gesagt?
    Weißer Rauch?
    Weiter vorne, am Fuße eines Berges rauchte es wirklich. Allerdings nicht weiß, sondern schwarz, grau und graublau, als ob Müll auf einer Müllkippe verbrannt würde.
    Viktor beschleunigte sein Tempo, was sich als unerwartet einfach erwies; er spürte keinen Gegenwind. Die Luft wich vor ihm zurück, sie trug ihn zu den Rauchsäulen …
    … der fröhlichen, glühend heißen Zugluft entgegen, welche die Flamme anheizte …
    Er spürte einen Schmerz. Einen scharfen Schmerz, der seinen Körper wie eine Nadel durchdrang. So setzte das Herz aus, wenn es von einer Welle des Grauens und des Ekels erfasst wurde, beim Anblick von etwas … für das Auge Unerträglichem …
    Der rauchige Dunst hing jetzt ganz nah vor ihm. Und er konnte schon erkennen, was brannte.
    Eine Stadt.
    Er sah rußige, etwas schiefe Häuser. Nicht solche, wie sie in der Mittelwelt üblich waren, sondern »andersseitige«. Stacheln aus Beton, die auch in das Straßenbild einer amerikanischen Megapolis gepasst hätten. Daneben Viertel mit Einfamilienhäusern, die vom Feuer bis auf die Fundamente ausgeleckt waren. Einen geometrisch angeordneten Wohnkomplex, haargenau nach russischem Vorbild: eintönige Wohnblöcke, die sich mehr in die Länge denn in die Höhe ausdehnten. Unebener, löchriger Asphalt. Einen
lichterloh brennenden See ausgelaufenen Bitumens neben etwas, das wie die Überreste einer Tankzapfsäule aussah. Die Stadt rief keine konkreten Assoziationen wach und kam ihm gleichzeitig bekannt vor. Eine gewisse, durchschnittliche Stadt …
    Viktor landete auf einer der Straßen. Der Asphalt fühlte sich weich und klebrig an und wies zwei Streifen gerippter Abdrücke auf, die verdächtig an die Spuren von Panzerraupen erinnerten. Die Abdrücke endeten an einem Gebäude, das sich gefährlich zur Seite neigte, inmitten von Glasscherben, die von den Fenstern herrührten.
    Herr im Himmel, was war hier passiert?
    Er tat einen Schritt und spürte, wie sich um ihn herum der Kokon aus Luft anspannte. Wie ein unsichtbarer Panzer, der ihn vor Hitze und Ruß schützte … In den Häusern knackten die letzten Brandherde; offenbar war bereits fast alles verbrannt, was brennen konnte. Aus der Wand eines schon fast ganz eingestürzten fünfstöckigen Hauses ragte ein zusammengedrücktes, angeschmolzenes Rohr heraus. Die schwächliche Krone der blauen Flamme lag in den letzten Zuckungen – die Gasreste, die herausströmten, waren nicht mehr in der Lage, das Feuer am Brennen zu halten.
    Viktor bewegte sich wie verzaubert vorwärts.
    In den Ruinen eines anderen fünfstöckigen Gebäudes knackte etwas; es war ein schwaches, nicht sehr beängstigendes Geräusch, wie wenn ein Erwachsener

Weitere Kostenlose Bücher