Drachenpfade - Lukianenko, S: Drachenpfade - Ne wremja dlja drakonow
erinnerte, deutete eine Verbeugung vor Tel an und sagte: »Und Ihr habt also die Kraft gespürt, Mädchen?«
»Und wie ich sie gespürt habe!«, rief Tel mit hitziger Stimme aus. Die Soldaten brachen in lautes Gewieher aus. Rames lächelte leicht, bewahrte aber seine ernste Haltung.
»Dann schätze ich mich glücklich, Ihr Begleiter sein zu dürfen … zumindest in der ersten Zeit.«
Er blinzelte Viktor listig zu. Offenbar glaubte er, dass jeder Zivilist stolz darauf sein müsste, wenn seiner Schwester so viel Achtung entgegengebracht wurde.
Sie schritten durch enge, gepflasterte Gässchen auf das Zentrum der Stadt zu. Entgegen Viktors Erwartungen war es recht sauber auf den Straßen, und er bemerkte nichts von jenem Gestank, der nach Meinung der Historiker die mittelalterlichen Städte beherrscht haben sollte. Möglicherweise hatten die Untertanen des Clans der Erde ja eine richtige Kanalisation. Oder übernahm die Magie diese Aufgabe?
Als Viktor versuchte, sich eine magische Toilette vorzustellen, konnte er ein Kopfschütteln nicht unterdrücken. In der Mittelwelt war das möglich. Wenn die Magie in den Alltag eindrang, würde sie jede Menge weniger erhabene Anwendungsbereiche finden.
Im Übrigen war nirgendwo auch nur das kleinste bisschen Magie zu spüren. Es waren gewöhnliche Menschen unterwegs. Vielleicht waren sie etwas stämmiger und hatten breitere Gesichter als in anderen Städten. Es war unverkennbar, dass es den Vasallen der Erde gutging.
»Es ist nicht das Schlechteste, ein Magier zu sein«, sagte Rames mit hoher, melodischer Stimme. Er hatte einen leichten, aber deutlich hörbaren Akzent. »Übrigens ist es auch durchaus ehrenwert, nicht Magier zu sein. Vor allem für ein hübsches junges Mädchen …«
Tel wurde rot und lächelte geschmeichelt wie ein naives Landkind.
»Als Magier verbringt man die besten Jahre beim langweiligen Studium in unterirdischen Tempeln und finsteren Höhlen«, fuhr Rames fort. »Magier sind so in ihre Bemühungen versunken, die Geheimnisse der Natur zu begreifen, dass sie nicht einmal bemerken, wenn sich eine wunderschöne rosa Knospe öffnet, wenn sie ihren Duft in der verhassten unterirdischen Finsternis verströmt. Und wenn die Kraft, die durch so viele Entbehrungen erfasst wurde, erstarkt, findet sie schon keine Anwendung mehr.«
»Aber ich will eine Magierin werden!«, rief Tel kapriziös aus. »Ich will, dass alle mich lieben und fürchten! Ich will in einem weißen Kleid und mit Brillanten geschmückt in einem offenen roten Wagen dahinjagen, und hinter mir soll ein Elfenjunge sitzen und mir die Haare kämmen!«
Rames seufzte und blickte Viktor an. »Was sagst du?«
»Na ja, wenn sie es will, warum nicht?«
»Ja, warum nicht«, stimmte der Gardist zu. »Und für die Verwandten ist es auch von Vorteil …«
Viktor antwortete nicht auf diese Spitze. Schweigend erreichten sie das Schloss. Ein wenig düster und gedrungen
wie die ganze Stadt, machte es einen verlassenen Eindruck. In wenigen Fenstern glomm Licht. Die dunklen, schmiedeeisernen Tore standen halb geöffnet, hinter ihnen waren bewegungslose Gestalten zu erkennen.
»Deine Schwester hat Glück«, erklärte Rames. »Vor ein paar Stunden ist Herr Andrzej 23 in der Stadt eingetroffen. Er ist das Oberhaupt des Erdclans und Magier ersten Ranges! Er sieht die Kraft überall und kann geradewegs in die Menschen hineinschauen; er wird euch sagen, ob es sich für euch lohnt, nach Feros zu ziehen … Nun ja, hat mich gefreut, euch zu Diensten zu sein!«
Er knallte die Hacken zusammen, drehte sich um und ging davon.
Viktor fasste Tel an der Hand und hinderte sie am Weitergehen. »Wohin willst du, Dummerchen? Warum wollen wir uns in so eine Lage bringen?«
Die Plauderei zwischen Tel und dem Gardisten hatte so echt geklungen, dass Viktor begann, in Tel tatsächlich ein törichtes Mädchen zu sehen: eine rote Kutsche mit einem Elfenpagen also … haha …
»Es ist zu spät, um die Pläne zu ändern!« Tel riss ihre Hand los. »Na los, komm schon!«
Viktor folgte ihr auf die Tore zu, wobei er insgeheim die ganze Welt verfluchte, angefangen von den kaputten Sicherungen auf der Anderen Seite bis hin zu den elenden Drachen.
Wie sich herausstellte, wurde der Eingang ebenfalls von Gardisten bewacht. Nur saßen ihre Uniformen besser und waren sauberer, und sie selbst wirkten wie handverlesen, allesamt hoch gewachsen und mit feisten Gesichtern, wie Grenadiere Peters des Großen.
»Wir sind gekommen, um dem
Weitere Kostenlose Bücher