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Drachenpfade - Lukianenko, S: Drachenpfade - Ne wremja dlja drakonow

Titel: Drachenpfade - Lukianenko, S: Drachenpfade - Ne wremja dlja drakonow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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räumte eilig das schmutzige Geschirr und die Gläser fort und wischte das Tischtuch mit ihrem Rockzipfel sauber.
    »Setzt euch!«, forderte der Offizier sie auf und ging zum Kopfende des Tisches.
    Die Beleuchtung war spärlich: rußende Fackeln an den Wänden und Kerzen auf den Tischen. Entweder pflegten die Vasallen der Erde keine freundschaftlichen Beziehungen zu den Gnomen, oder sie lagen zu weit abseits der »Eisernen«;
denkbar war auch, dass sie aus irgendwelchen ideologischen Gründen keine Elektrizität verwenden wollten.
    Dafür fühlte sich Viktor endlich wie in einer echt mittelalterlichen Umgebung.
    Die Gäste, Männer, Frauen und sogar einige Kinder, schmatzten laut und verzehrten die zahlreichen Gerichte mit der Gier von Dickwänsten, die eine Diät unterbrochen hatten. Man speiste gegrillten Eber, und drei riesige Schüsseln mit abgenagten Knochen standen auf der langen Tafel. Außerdem gab es Fleischvorspeisen im Überfluss, Würste, Pasteten, Salate, aber es gab weder Fisch noch Geflügel; über diese kulinarische Demonstration ihrer Zugehörigkeit zum Erdclan musste Viktor unwillkürlich lächeln. Begossen wurde das riesige Durcheinander von gewaltigen Mengen Weiß-, Rot- und Roséweins.
    Die Gobelins an den Wänden bildeten ebenfalls hauptsächlich Bankettszenen ab. Es gab allerdings auch einige Behänge, auf denen goldene Getreidefelder Ähren trieben, fette Viehherden weideten und lachende Jungfern Früchte von unvorstellbarer Größe ernteten; Weintrauben so groß wie Kinderfäuste, Äpfel wie Fußbälle. Sogleich fühlte sich Viktor an das große Mosaik in der Moskauer Metrostation WDNCh erinnert.
    Viktor musterten die Leute mit neugierigen Blicken, während Tel kaum beachtet wurde. Das dünne, noch nicht ausgewachsene Mädchen war nicht nach dem Geschmack dieser Gesellschaft.
    Der Gardist hatte sich zu den Ehrenplätzen vorgearbeitet. Dort saßen der Gastgeber des Banketts, ein stämmiger, älterer Mann, vermutlich eben jener Fürst, dem auch die Stadt gehörte, und ein schmächtiger, kahlköpfiger Mann, der in einen Umhang gehüllt war.

    War das etwa der Magier der Erde? Ein Magier ersten Ranges?
    Nein, sicher nicht, Unsinn, vermutlich war er der Fürst …
    Aber der Gardist beugte sich zum Ohr des Älteren und flüsterte ihm eilig etwas zu. Mit einem leisen Lächeln schüttelte der Fürst den Kopf. Er hob die Hand. Der Tisch verstummte augenblicklich, die vollgestopften Münder klappten zu, und die erhobenen Gläser verharrten bewegungslos in der Luft. In der Stille erklang ein hohles Geräusch; jemand schluckte mit heroischer Anstrengung einen riesigen Bissen hinunter.
    »Wir haben Gäste«, sagte der Fürst wohlwollend. »Ein Mädchen mit Namen Tel hat die Kraft der Erdmagie in sich gespürt …«
    Der schmächtige Magier nickte wie ein Vogel mit dem Kopf und blickte Tel über den Tisch hinweg an.
    »Sie ist auf dem Weg nach Feros. Aber sie hat uns mit ihrem Besuch beehrt, denn sie möchte ihre zukünftigen Vasallen kennenlernen …«
    Noch immer herrschte Stille.
    Viktor spürte, wie ihm ein Faden kalten Schweißes über den Rücken lief.
    Aber nein, es erhob sich kein dröhnendes Geschrei des Widerspruchs und auch kein spöttisches Gelächter, das ja um nichts weniger gefährlich wäre.
    »Wie angenehm, eine zukünftige Kollegin zu treffen«, schnarrte der Magier. »Komm hierher, Mädchen.«
    Tel nippte unerschütterlich von ihrem Weißwein, ehe sie sich erhob. Auch Viktor stand auf und ging hinter ihr her.
    »Der junge Mann kann da bleiben …«, warf der Magier ein.
    »Ich bin für sie verantwortlich!«

    Es wurden keine weiteren Einwände laut. Unter den zudringlichen Blicken von Hunderten von Augen traten sie zum Fürsten und zum Magier.
    Aus der Nähe sah der Erdmagier abstoßend aus. Er hatte kalte, tote Augen. Seine Haut war gelbgrau, als hielte er sich permanent im Dunkeln auf. Es war verblüffend, wie das Oberhaupt eines Clans, dessen Magie einen solch lebensfrohen, wenn auch etwas primitiv anmutenden Menschenschlag um sich scharte, derart ausgemergelt aussehen konnte.
    »Du kannst mich Herr Andrzej nennen, Mädchen«, schnarrte der Magier. Er heftete seinen Blick auf Tel und schüttelte enttäuscht den Kopf. »Ich spüre keine Kraft in dir.«
    Der Saal atmete hörbar auf. Und Viktor begriff schicksalsergeben, dass sie alles noch vor sich hatten, wütendes Geschrei, höhnisches Gelächter, vielleicht würde man sie auf dem Schlossplatz auspeitschen.
    Und Zorn, feuriger Zorn

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