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Drachenpfade - Lukianenko, S: Drachenpfade - Ne wremja dlja drakonow

Titel: Drachenpfade - Lukianenko, S: Drachenpfade - Ne wremja dlja drakonow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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sich über nichts zu wundern brauchte.
    Viktor griff zum Telefon, hob den Hörer ab. Und ließ ihn fallen – aus der Sprechmuschel stieg stinkender schwarzer Rauch auf.
    »Ruf nicht an!«, wiederholte das Mädchen.
     
    Allmählich kamen sie zusammen – zur Stunde des Grauen Hundes, der trostlosesten Zeit der Nacht. Jener Stunde, in
der alles im Voraus bestimmt ist, unabänderlich und bereits bekannt. Zu dieser Stunde versammelt man sich am besten im sicheren Kreis guter Freunde, entzündet ein wärmendes Feuer, sticht ein Fass Aetanne an, holt eine alte Klampfe hervor und singt etwas im Stil von »Ach, auf Stein, auf schwarzem Stein, wo du nicht spürst der Erde Wurzeln …«, und nach dem melancholischen singt man ein fröhliches Lied, rasend fröhlich, vielleicht sogar frivol, sofern sich keine Damen in der Runde befinden.
    Aber das ließ sich nun nicht ändern. Es war die Stunde des Grauen Hundes – und Schatten glitten am äußersten Rand der Nacht dahin, die so dunkel war, dass der Blinde behänder als der Sehende wurde. Unter den Umhängen waren die Schwerter nicht zu sehen. Der Grund, weshalb sie sich hier versammelten, verlangte nach anderen Waffen – nicht nach denen, die man für rituelle Duelle mit Seinesgleichen verwendete. Vom Ausgang dieses Treffens hing viel ab. Selbst wenn nicht alle, die sich auf den Weg zu diesem Treffpunkt gemacht hatten, das Ausmaß der Gefahr kannten, so war es doch nicht nötig, irgendjemanden zur Eile zu drängen. Langsam traten die Bäume auseinander, der Wald lichtete sich, jener Wald, den die Holzfäller hundert Jahre zuvor so sorgfältig verstümmelt hatten.
    Früher gab es hier Wege und Häuser. Aber die Zeit verschont nichts; die unerbittliche Zeit, der keiner zustimmen will. Inzwischen waren sogar die jungen Bäumchen, des Feuers liebste Nahrung, schon wieder ausgewachsen und hinfällig geworden. Inzwischen zerbröckelten sogar die Steine der Fundamente unter den Wurzeln der Gräser zu Staub …
    Zur Stunde des Grauen Hundes war der Weg gefährlich; aber doch nicht so sehr wie zu anderen Zeiten der Nacht.
Die Unbefriedbaren streiften umher; hoch in der Luft kreisten die Fliegenden; aus den dichten Wäldern blickten die habgierigen Augen jener, die ihre jahrhundertealte Angst nicht überwinden und aus dem Dickicht heraustreten konnten. Vor ihnen musste man sich in Acht nehmen, mehr aber nicht. Fürchten musste man andere: die ehemaligen Freunde und Verbündeten. Sie, die es einst gemeinsam von ihrer heimatlichen Küste hierher verschlug, waren einander nun die grimmigsten Feinde. Längst war jene Zeit vergessen, als sie nebeneinanderstanden, ohne die Hand an den Griff des Schwertes zu pressen. Vergessen und verflucht.
    Wahrscheinlich für immer …
    In der zerfurchten Erde, über die sich unzählige Male gepanzerte Armeen ergossen hatten, umgeben von einem ausgetrockneten, aufgeriebenen Wald, wo jeder Baum von Kugeln durchlöchert war, auf einem steilen Felsen, der sich über einem See erhob, stand eine Burg. Besser gesagt, das, was von ihr noch übrig war.
    Ihre Wachtürme waren nicht von Kanonen und Rammböcken zerstört worden, denn die blieben weit entfernt im Gelände zurück, steckten fest im klebrigen Moos oder stürzten in versteckte Bodenfallen. Nein, ein alles vernichtender Zauber hatte das Werk vollbracht. Nur noch die Fundamente waren übrig geblieben, ein Haufen Steine, dick überzogen von grauem Grind – Magie hatte die Granitblöcke in Schutt und Asche zerlegt. Erdigel bedeckten die gewaltige Wunde, die Spaten dem Graben rund um die Ruine zugefügt hatten.
    Man begrüßte einander schweigend – für derartige Treffen war noch keine Etikette erdacht worden. Der Thronsaal war schwerer als alle anderen Räumlichkeiten von der Verwüstung betroffen, denn zu jener Zeit tobte hier der letzte,
verzweifelte Kampf zwischen den Verteidigern und den Angreifern. Bis heute bewahrten die Überreste der Mauern den Zauber, den ihre Erbauer in sie gewirkt hatten; er war das Einzige, was die Ruine vor dem Zusammenstürzen abhielt. Eine baufällige Wendeltreppe führte hinauf zum Saal, der wie ein Vogelnest im Baum in zwanzig Mann Höhe zwischen den Resten der Burgmauern hing.
    Hier lohnte es sich nicht, mit Magie zu hantieren – vor allem nicht mit kriegerischer.
    Deshalb hatten sie sich hier verabredet.
    Diejenigen, die zuerst eintrafen, stellten sich an der am stärksten zerstörten Mauer auf, als ob sie damit einverstanden wären, dass ihre Silhouetten leichte

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