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Drachenpfade - Lukianenko, S: Drachenpfade - Ne wremja dlja drakonow

Titel: Drachenpfade - Lukianenko, S: Drachenpfade - Ne wremja dlja drakonow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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die Pfote des Ungeheuers. Widerstandslos glitt die stachelige Kugel durch das Wasser, dann löste sie sich von der Kette und krachte von Rost zerfressen zu Boden, wo sie sich in einem rotbraunen Mulm auflöste.
    Viktor wurde zur Tür hinausgeschubst. Er fiel auf die glatten Steinplatten und spießte sich selbst dabei beinahe mit seinem Schwert auf.
    Hinter ihm liefen zwei Söhne des Räubers, der Jüngste und einer von den älteren.
    »Schneller, Herrscher …«
    Es lag etwas Schreckliches in ihrer Selbstverleugnung, ihrer Bereitschaft, den Vater und den anderen Bruder seinetwegen im Stich zu lassen. Wie besessen rannte Viktor los. Durch den milchigen Nebel auf die dunkle Silhouette zu, die sich auf dem Gleis bewegte …
    Nein! Nein, er durfte diejenigen nicht im Stich lassen, die bereit waren, für ihn zu sterben! Nein, denn da war doch etwas in ihm, da zeichneten sich schon Fertigkeiten ab – es konnte kein Zufall sein, dass er einen vom Clan des Wassers getötet hatte! Er müsste jetzt neben dem Grenzer
stehen und nicht wie besessen davonlaufen … besessen von der eigenen Angst.
    Hinter ihm war Geschrei zu hören. Es war unmöglich, zu erkennen, wessen Schrei es war – der des Grenzers oder seines Sohns. Und es war unmöglich, zu unterscheiden, ob es ein Todesschrei oder ein Triumphgeheul war.
    Der Raum schmolz, löste sich in Weiß auf. Er lief nicht, sondern er flog. Eilte durch eine helle, weiße Nacht – wie in Sankt Petersburg. Nur ein Blick nach hinten, und die Furcht überwältigt den Verstand. Durch die schaumigen Wolken gleitet ein geflügelter Schatten. Riesenhaft. Bedrohlich. Todbringend. Entweder spiegeln sich die Sterne in der schneeweißen Schuppe, oder sie leuchten ganz von selbst. Gleichmäßig schlagen die Flügel in der dünnen Luft, in den großen, flimmernden Augen liegt Zorn. Er hat es gewagt, den Geflügelten herauszufordern, er hat es gewagt, obgleich er noch nicht die Kräfte hat, mit ihm fertig zu werden. Und jetzt holt jener ihn ein, der Gebieter des Himmels und der Meerestiefen, der Herr über die Erdscholle und das Feuer.
    Der, dessen Name Drache ist …
    Zieh nicht in den Kampf, wenn du keine Aussichten auf Erfolg hast …
    »Bleibt stehen, Herrscher«, schrie der junge Mann ihm im letzten Augenblick zu, ehe Viktor vom Bahnsteig auf die Gleise stürzte, geradewegs unter den heranstürmenden Eisenberg. Der Schrecken brach in einem gellenden Schrei aus ihm heraus – Wirklichkeit und Wahn vermischten sich, er war bereit zu glauben, dass ihm tatsächlich ein geflügeltes Ungeheuer entgegenflog.
    Die Lokomotive rauschte nur Zentimeter entfernt neben ihm vorbei: Viktor spürte die Wärme des hochwandigen Kessels und wurde von aufsteigenden Dampfwolken eingehüllt.
Der Zug kam zum Stehen. Die Waggons reihten sich hintereinander – elegant, ockerfarben angestrichen, mit bronzefarbenen Haltestangen, mit Scheinwerfern und mit winkenden Fähnchen auf den Dächern. In den Fenstern war Licht zu sehen.
    Die Söhne des Grenzers kamen schwer atmend neben ihm zum Stehen, sie schwankten. War er tatsächlich so schnell vom Schlachtfeld getürmt?
    Viktor rechnete mit Fragen, Ratschlägen, vielleicht sogar mit Bitten. Aber die Brüder hatten andere Sorgen. Mit gezückten Schwertern standen sie reglos zu seinen Seiten und starrten in den Nebel, ebenso bereit zu sterben wie ihr Vater.
    »Hört mal, Jungs, es ist alles in Ordnung«, sagte Viktor ohne rechte Überzeugung. »Ihr könnt jetzt gehen.«
    Zum ersten Mal sprach der älteste der Söhne ihn an. »Vater und Kress können wir nicht mehr retten.« Er klang heiser, entweder war er erkältet, oder seine Stimme versagte ihm den Dienst.
    »Der Wassergeist bedeutet den Tod. Wir können ihn aufhalten, aber nicht vernichten.«
    »Und wir werden ihn aufhalten, Herrscher«, fügte der Jüngere hinzu.
    Fanatiker! Wahnsinnige Fanatiker! Mit einem Mal erkannte Viktor, dass ihm dieser Fanatismus, der sich in seinen Dienst stellte, keine Freude machte. Er erinnerte ihn an die verlogenen Geschichten über Soldaten, die sich mit einem begeisterten »Für Stalin« auf den Lippen feindlichen Panzern entgegenwarfen, an japanische Kamikazepiloten, an Wahnsinnige, die sich ans Deck eines Flugzeugträgers krallten, an Sektenmitglieder, die sich auf Befehl eines verrückten Propheten die Pulsadern aufschnitten.

    Er drehte sich zu dem Waggon neben ihm, hieb mit der Faust auf die geschlossene Tür und brüllte: »Macht auf! Nun macht schon auf!«
    Und die Tür wurde

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