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Drachenpfade - Lukianenko, S: Drachenpfade - Ne wremja dlja drakonow

Titel: Drachenpfade - Lukianenko, S: Drachenpfade - Ne wremja dlja drakonow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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augenblicklich geöffnet. Als ob man dahinter nur auf eine Aufforderung gewartet hätte.
    »Was brüllst du hier so rum?«
    Auf dem Treppchen – aus blankpoliertem Messing wie auf einem Schiff – stand ein stämmiger Gnom in einer mausgrauen Uniform und mit einem kurzen Stab in der Hand.
    »Wir …« Viktor geriet ins Stocken, als er den Gnom von oben bis unten musterte.
    »Was ›wir‹? Was brüllt Ihr so?«
    »Wir wollen einsteigen!« Viktor erhob tatsächlich die Stimme.
    »Fahrkarten!«
    Er holte seine hervor und hielt dem Gnom das Stück Karton hin. Der blickte höchstens eine Sekunde darauf und schob es dann nachlässig in seine Tasche, während er zwischen den Zähnen murmelte: »Herzlich willkommen im Zug … steigen Sie ein.«
    Natürlich war keine Herzlichkeit in seiner Stimme. Entweder hatten seine Kollegen ihn bereits benachrichtigt, oder dieser Gnom hatte auch so begriffen, dass hier etwas nicht stimmte.
    »Jungs, eure Fahrkarten.« Einen Moment lang dachte Viktor, dass diese vielleicht in der Tasche des Grenzers geblieben waren. Aber die Jungen reichten dem Gnom schweigend ihre Billetts. Ein weitsichtiger Räuber … hatte sogar für seinen eigenen Tod vorgesorgt.
    »Steigt ein«, knurrte der Gnom.
    Aber die Jungen rührten sich nicht vom Fleck. Hatten sie vor, ihre Pflicht bis zum bitteren Ende zu erfüllen? Auf dem
Bahnsteig zu sterben und ihm damit bis zur Abfahrt Deckung zu geben?
    »Wie lange warten wir noch hier?«, fragte Viktor den Gnom.
    »Drei Minuten«, antwortete dieser, wenn auch widerwillig. Offenbar fühlten sich die Gnome verpflichtet, gewisse Umgangsformen gegenüber den Reisenden einzuhalten. Trotz allem. »Die Dampfsirene ertönt zweimal … direkt vor der Abfahrt.«
    Viktor wartete mit einem Fuß auf der Messingtreppe, während der Gnom unzufrieden auf die Erdklumpen blickte, die von Viktors Schuhsohle herabbröckelten. Ebenso warteten die Söhne des Räubers.
    Nicht umsonst.
    Lärm ertönte, ein Schatten stürmte durch den Nebel. Die Jungen schlichen in seine Richtung. Mit einem lauten Fluch sprang Viktor auf den Bahnsteig und zückte ebenfalls sein Schwert.
    Aus dem weißen, mullartigen Nebel lief ihnen der Grenzer entgegen. Ein riesiger Bluterguss zog sich über die eine Gesichtshälfte, als hätte man ihm eins mit einem Brett übergezogen. Seine aufgeplatzten Lippen bluteten, und als er den Mund zu einem gequälten Lächeln verzog, konnte man erkennen, dass mehrere Zähne ausgeschlagen waren.
    »Hast du das Scheusal getötet?«, rief Viktor ihm zu. Sein Misstrauen hinsichtlich der kämpferischen Qualitäten des Räubers hatte sich völlig gelegt.
    »Nein, Herrscher.« Der andere schüttelte den Kopf. Er lispelte etwas, bemühte sich aber, deutlich zu sprechen. »Das steht nicht in meiner Macht.«
    »Vater …« Leise und fragend erklang die Stimme seines ältesten Sohnes.

    Der Grenzer blickte ihn an und sagte: »Kress hat seine Pflicht erfüllt.«
    »Das … das tut mir sehr leid«, flüsterte Viktor.
    »Danke, Herrscher.«
    Der Gnom beobachtete sie beunruhigt und neugierig zugleich. Der Nebel schaukelte sanft hin und her. Irgendwo weiter vorne, bei der Lokomotive, waren Geräusche zu hören, entweder wurde Kohle aufgeladen oder Wasser nachgefüllt.
    Wasser …
    »Wie heißt ihr?«, wandte sich Viktor abrupt an die Söhne des Räubers.
    Diese sahen einander an. Schließlich antwortete der Älteste als Erster.
    »Andrej.«
    »Jaroslaw.«
    Es war seltsam, diese typisch russischen Namen in dieser herrenlosen Welt zu hören …
    Der Grenzer schüttelte den Kopf, blickte Viktor in die Augen und sagte fest und ohne Schüchternheit: »Vergiss unsere Namen, Herrscher. Binde dich nicht an uns. Wir werden sterben – alle.«
    »Warum?«
    Der Räuber wischte sich Blut aus dem Gesicht. »So ist es vorhergesagt. Vor Hunderten von Jahren. Das weißt du doch, Herrscher.«
    Viktor senkte den Blick. »Ich … ich weiß es nicht.«
    »Du wirst es erfahren. Du wirst dich erinnern.« In der Stimme des Grenzers schwang unerschütterlicher Glaube. »Herrscher …«
    Mit einem Mal streckte er die Hand aus und berührte Viktor an der Schulter, vorsichtig, wie ein Kreuzritter, der die Hände nach dem Heiligen Gral ausstreckte.

    »Die Wächter der Grauen Grenze kennen ihre Pflicht. Wenn genug Zeit wäre, würden Tausende von uns kommen. Die Zeit reicht nicht, aber wir tun alles, was …«
    »Vater!« Andrej sah die Feinde zuerst. Also hatte man sie doch noch eingeholt.
    Fünf an der Zahl tauchten in

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