Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Drachenpfade - Lukianenko, S: Drachenpfade - Ne wremja dlja drakonow

Titel: Drachenpfade - Lukianenko, S: Drachenpfade - Ne wremja dlja drakonow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
Vom Netzwerk:
wenn jemand bereit ist, für dich zu sterben. Es ist doch ganz angenehm, Viktor, sei ehrlich! Zu befehlen, sich andere zu unterwerfen und deren wilde Ergebenheit und ihre
Angst zu spüren. Genaugenommen ein ziemlich gutes Gefühl. Aber jetzt ist die Freifahrt vorüber. Und abspringen kannst du auch nicht mehr. Stell dich dem Kampf und stirb, wie es sich für einen Mann gehört.
    Leere, zusammenhangslose Worte. Von der Leinwand klangen sie eindrucksvoll, und auch in Romanen las man sie gerne und begeisterte sich dabei für den Helden und seinen Wagemut, fieberte mit ihm. Aber wenn sie einen plötzlich selbst betrafen … Viktor presste das nutzlose Schwert in seiner verschwitzten Hand. Elfenstahl, was sollte er damit anfangen? Eine Wasserpeitsche würde er damit kaum zerschlagen können.
    Gotor war verstummt, vermutlich ruhte er sich aus. Es war Stille eingetreten. Nur das Klopfen der Räder und das gelegentliche Pfeifen der Dampflok waren zu hören. Viktors Abteil lag auf der Windseite, und zerzauste Rauchschwaden glitten an seinem Fenster vorbei. Der Donnerpfeil schien ein Verwandter des Roten Pfeils 9 auf der Anderen Seite zu sein; er fuhr zügig und fast ohne Halt und wechselte lediglich an wichtigen Verkehrsknotenpunkten die Lokomotive, um sich so die Zeit für das Nachfüllen von Kohle und Wasser zu sparen.
    Die Stunden vergingen. Bald würde es Abend werden, und Viktor saß noch immer in einer merkwürdigen Starre da und konnte sich zu nichts entschließen. Sein ursprünglicher Plan, Tel einzuholen, erschien ihm inzwischen wie vollkommener Wahnsinn. Wie und wo sollte er sie ausfindig machen? Er würde sich selbst in die Hände der Magiermörder begeben, und damit wäre alles vorbei. Was hatte Rada gesagt? Entweder in Luga oder in Rjansk würde er den anderen Zug, Vier Rauchwolken, einholen? Irgendwie kamen ihm die Namen der Städte bekannt vor …

    Viktor musste all seinen Mut zusammennehmen, um die Nase aus dem Abteil zu strecken. Zum Glück trieb sich der Gnom im Gang herum.
    »Hören Sie, Wertester …«, begann Viktor, der sich diese alberne Anrede einfach nicht verkneifen konnte. »Wann kommen wir in Luga an?«
    »Jetzt gleich«, brummte der Gnom. »Eine halbe Stunde noch, dort haben wir zehn Minuten Aufenthalt.«
    »Und Vier Rauchwolken?«
    »Den werden wir in Luga überholen, guter Mann. Von Luga fahren wir ohne Zwischenhalt nach Rjansk, dabei wird der Weg vor uns endlich frei sein. Es ist kein Wunder, dass wir ihn überholen, denn Vier Rauchwolken bleibt an jedem Baumstamm stehen. Was wünschen Sie noch zu wissen, guter Mann?«
    Viktor kehrte in sein Abteil zurück und verschloss sorgfältig die Tür. Luga bedeutete eine Chance. Eine kleine Chance, die er nicht verstreichen lassen durfte. Die Clans lebten, Jaroslaw zufolge, im Süden, am Warmen Ufer. Hatte sich das Mädchen am Ende dorthin aufgemacht? Vielleicht war sie ja wirklich nicht unterwegs ausgestiegen … Aber wie sollte er sie finden und dabei noch seine Verfolger an der Nase herumführen?
    Wahrscheinlich hätte Conan der Barbar oder der Lord vom Planeten Erde 11 oder Olmer aus Dejlo 10 in einem solchen Fall genau gewusst, was zu tun war. Aber Viktor spürte nur zu gut, wie wenig er sich zum Helden eines märchenhaften Abenteuerromans eignete. Es war wie verhext, aber ihm fiel einfach nichts Taugliches ein. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich aufs Zuverlässigste überhaupt – den guten alten, unbesiegbaren Zufall – zu verlassen.

    In diesem Moment pfiff der Donnerpfeil aus voller Kehle und begann das Tempo zu drosseln. Draußen zogen jetzt Vororte vorbei, die sich kaum von den Vorstädten am Rand von Moskau Mitte der siebziger Jahre unterschieden. Inmitten von entlaubten Gärten befanden sich einstöckige Holzgebäude: mit Zierleisten verkleidete Blockhäuser in bunten Farben, von denen der Anstrich zum Teil schon stark abblätterte. Viktor wunderte sich unwillkürlich, nach allem, was er sehen konnte, war es zwar herbstlich, aber noch sehr warm. In jedem Fall war es nicht unangemessen, nur mit einer Jacke bekleidet unterwegs zu sein.
    Ein Pumphaus aus Stein glitt vorbei, ein Bahnwärterhäuschen, der Zug rumpelte über schlecht gestellte Weichen.
    »Luga … Luga …«, erklang es im Gang. »Zehn Minuten Aufenthalt.«
    Viktor erblickte sofort Vier Rauchwolken, diese wundersame Lokomotive, die vier Schornsteine hatte wie der Kreuzer Warjag 12 und schäbige Waggons hinter sich herzog. Es sah ganz so aus, als sei der Donnerpfeil

Weitere Kostenlose Bücher