Drachenpfade - Lukianenko, S: Drachenpfade - Ne wremja dlja drakonow
letzte Station auf Ihrer Fahrkarte erreicht haben und noch weiter fahren wollen, müssen Sie aussteigen. Ich verkaufe keine Fahrkarten«, fuhr er mit derselben Gleichgültigkeit fort.
»Danke, ich werde mich dran halten«, sagte Viktor. Er blieb auf der obersten Stufe des Treppchens stehen und folgte dem jüngsten Sohn des Grenzers mit dem Blick. Jaroslaw schlenderte langsam auf den Bahnhof zu. Viktor war
froh, dass der Junge ausgestiegen war. Es hatte genug unschuldige Opfer gegeben. Es sah ganz so aus, als sei es nicht gerade ungefährlich, sich in seiner Gesellschaft zu befinden.
Sie stürzten hinter den Stämmen der Pappeln hervor, zwei von jeder Seite, schnell und geräuschlos; in Viktors Wahrnehmung entlud sich all ihre angestaute Wut und Rachgier in einem donnernden Wasserfall. Sie hatten Verluste erlitten, sie waren nur noch zu viert – und jetzt waren sie gekommen, um zu töten. Viktor hatte keine Ahnung, wie sie es geschafft hatten, den Zug einzuholen; vermutlich hatten die Magier dieser Welt geheime Wege. Aber in diesem Moment war das nicht wichtig.
Vier Mann aus dem Strafkommando des Wasserclans, angeführt vom Magier Gotor.
»Lauf!«, brüllte Viktor hinter Jaroslaw her.
»Gedenken Sie nun auszusteigen?«, fragte der Gnom schmeichelnd.
Viktor gab keine Antwort. Er musste losstürzen und sein Schwert holen … er wollte sich in Bewegung setzen, hob schon den Fuß vom eisernen Boden, da begriff er, dass ihm das Schwert hier nichts nützen würde … Er brauchte etwas anderes … etwas von innen heraus.
»Bleibt stehen, ihr alle!«, rief er, noch ehe ihm klargeworden war, was er tun konnte. »Lasst meinen … treuen Diener in Frieden!«
Der Junge dachte gar nicht daran davonzulaufen. Er holte seinen Dolch hervor, hockte sich hin und lächelte. Er wusste, dass es kein Entkommen gab. Der Herrscher musste ihn retten, alles andere war bedeutungslos.
Drei der Verfolger gingen ohne Eile auf den Jungen zu. Gotor war stehen geblieben und sah Viktor herausfordernd an.
»Was stehst du da herum? Steig aus, komm her!« Hinter seiner Aufforderung verbarg sich Angst.
»Wieder stellst du dich mir in den Weg, Gotor«, sagte Viktor. In seinem Innern machte sich bereits der harte Klumpen kalten Zorns breit. »Diesmal entkommst du mir nicht. Weißt du noch, was ich dir versprochen habe …?«
Wieder hatte er keine Ahnung, was er als Nächstes tun würde. Zuschlagen? Womit? Er hatte kein Schwert.
Gotor blieb nicht stehen. Sein kurzer blauer Mantel war nicht mehr so sauber wie anfangs, und an mehreren Stellen klafften Risse; offenbar war das Reisen auf geheimen Pfaden nicht gerade einfach. Aber auf seinem Gesicht machte sich etwas Neues breit – so etwas wie Verdammnis.
Inzwischen rückten drei Verfolger auf Jaroslaw zu.
Gotor hob die Hand.
Hinter dem Bahnhof erhob sich, die Schwerkraft ignorierend, aus den Wurzeln der Pappeln eine riesenhafte Flutwelle in die Höhe; brodelnder Schaum krönte ihren Kamm – wie ein einziger weißer Federstrich auf schwarzblauem Hintergrund. Im Krachen der umstürzenden Bäume wurden alle anderen Geräusche erstickt. Die Welle war gigantisch, ein wahrhaftiger Tsunami, der aus dem Nichts in dieser Ebene aufgestiegen war. Und Viktor wusste, die ganze Kraft dieses monotonen Kolosses war auf ihn gerichtet. Die Welt hatte sich verdunkelt, er befand sich in höchster Gefahr, gleich würde er zerquetscht, zu Staub zermalmt werden.
Gotor würde nicht noch einmal jenen Dämon rufen, der ihn bloßgestellt hatte; den Wassergeist oder wie auch immer jenes Wesen genannt wurde.
Viktor warf sich nach vorne. Schnell, Junge, besinn dich auf das, was man dir beigebracht hat.
Der Magier des Wassers machte mit den Händen eine Bewegung, als würde er einer Gans den Hals umdrehen.
Viktor sprang.
Sicher, jeder beliebige Trainer hätte einen solchen Mae Geri – einen Tritt im Sprung – ohne viel Federlesens mit den Fäusten abgewehrt. Aber für Gotor war er ausreichend, der Zauberer dachte gar nicht daran, sich zu verteidigen. Von Viktors unbeholfenem Tritt mit der Fußspitze in die gegnerische Leiste krümmte Gotor sich zusammen; die Kräfte, die jener sich aufbäumenden Welle geboten, fielen in sich zusammen. Die Flut löste sich auf, als ob sie nie da gewesen wäre.
Ein kurzer Aufschrei erklang.
Viktor hob den Kopf.
Blut. Jaroslaws Körper lag mit kraftlos nach hinten geworfenen Armen in einer dunkelroten Lache. Klumpen schmutzig-weißen Pappelflaums – woher konnte der im Herbst
Weitere Kostenlose Bücher