Drachenritter 01 - Die Nacht der Drachen
Augen würden rot leuchten im Widerschein der Flammen, wenn sie nahe genug waren, aber ihre schwarzen Körper mit dem rauhen Fell würden in der Dunkelheit unsichtbar bleiben, wenn sie immer wieder um die Lichtung strichen, gerade außerhalb der Reichweite des Feuerscheins. Und aus ihrem Mund würde ständig dieses gleiche seelenlose Geschnatter kommen, das wie mit Spinnenbeinen an Jims Wirbelsäule herauf- und hinunterkroch und ihm ins Gehirn eindrang.
»Was sie hier suchen«, sagte Brian, »so weit vom Meer, weiß nur der Teufel, der ihnen hilft. Ihr normaler Bereich sind die kalten, salzigen Strande. Kleine Strandtiere und die armen Schiffbrüchigen, die das Unglück haben, nachts an Land geschwemmt zu werden, sind normalerweise ihre Beute. Hier ist ein Feind, gegen den mein Schwert und Eure Klauen, Sir James, wenig ausrichten werden.«
»Wenn sie nahe genug herankämen …«
»Das werden sie nicht, solange noch Leben in uns ist. Es sind feige Kreaturen, deren einzige Waffe der Wahnsinn ist.«
»Der Wahnsinn?« wiederholte Jim. Das Wort war wie ein eisiges Messer an seinen Nerven entlanggeglitten.
»Was sonst, glaubt Ihr, bedeuten ihre Laute?« sagte Brian. »Man erzählt sich, daß sie von den Seelen anderer Tiere besessen sind, die im Wahnsinn starben oder in großer Qual, und daher sind sie voll von Wahnsinn, den sie in die Nachtluft ergießen, um den Geist von Leuten wie Euch und mir damit anzustecken. Ich weiß nicht, wie es mit Euch ist, Sir James, aber für mich war St. Giles immer ein guter Freund, und er gab mir nicht umsonst den Rat, diesen riesigen Haufen Feuerholz zu sammeln. Mein Rat ist, daß wir uns an diesen guten Heiligen wenden, und an Gott mit seinen Engeln, denn hier kann sonst niemand helfen.«
Der Ritter zog sein Schwert, stellte es mit der Spitze nach unten auf den Boden, nahm den Griff in beide Hände und neigte den Kopf im Gebet darüber. Jim stand reglos, beobachtete den Mann in seiner Rüstung, das Feuer und die sie umgebende Dunkelheit, hörte den ständig anschwellenden Ton des Geschnatters.
Er selbst war überhaupt nicht religiös; und irgendwie wehrte sich in diesem besonderen Augenblick etwas in ihm dagegen, sich an die Religion um Hilfe zu wenden oder das auch nur vorzutäuschen. Andererseits konnte er Brian nur beneiden, der eine solche Stütze jederzeit zur Verfügung hatte.
Denn ob die Geschichte mit den Seelen der Tiere, die im Wahnsinn oder in Qualen gestorben waren, nun stimmte oder nicht, man konnte nicht abstreiten, daß irgend etwas in diesem Geschnatter deutlich die bewußten, logischen, oberen Bereiche von Jims Bewußtsein durchdrang, in die darunterliegenden, alten, primitiven Ebenen vorstieß und atavistische Ängste auslöste, von deren Vorhandensein er nichts gewußt hatte. Tief in ihm, seit dem ersten Augenblick, als er erkannt hatte, daß das Schnattern mehr war als Ohrensausen, war der Drang, sich umzudrehen und davonzulaufen, zu rennen und zu rennen, bis er es entweder nicht mehr hören konnte, oder bis sein Herz von der Anstrengung des Laufens zerspringen würde.
Am Ende war es wohl das, was alle Opfer der Sandmerker taten – laufen, bis sie nicht mehr konnten. Und dann, wenn die Beute schließlich erschöpft war und hilflos, würden die schwarzen, glutäugigen, buckligen Schatten schnatternd daherkommen, um zu töten und zu fressen. Solange sein Bewußtsein noch funktionierte, erkannte Jim, daß er verloren war, wenn er davonrannte. Wie Brian mußte er hier stehen bleiben und Widerstand leisten gegen die Töne, die an seinem Verstand nagten.
Er brachte es nicht fertig, Brians Beispiel zu folgen, aber es mußte doch andere Dinge geben, die er zur Verteidigung gegen die Rufe der Sandmerker einsetzen konnte. Das Einmaleins?
Er versuchte es damit. Eine Zeitlang konnte er sich darauf konzentrieren; er gratulierte sich schon dazu, eine Waffe gefunden zu haben. Aber nachdem er alle Multiplikationsreihen durchgegangen war, die ihm auf Anhieb einfielen und von neuem begonnen hatte, merkte er, daß es ihm beim zweitenmal nicht mehr so gut gelang wie beim erstenmal, das Geschnatter zu verdrängen. Als er das Einmaleins zum drittenmal aufsagte, war es kaum mehr eine Hilfe, nicht viel mehr, als wenn er bedeutungslose Silben vor sich hingemurmelt hätte.
Er durchforschte sein Gedächtnis, so gut er es unter dem Einfluß der Sandmerkerstimmen konnte – die nun eindeutig das Lager in einer Entfernung von nicht mehr als fünfzig Metern umkreisten –, nach etwas
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