Drachenritter 01 - Die Nacht der Drachen
das Feuer herum und stellte sich neben Brian.
»Jetzt!« sagte der Ritter mit seiner heiseren Stimme, hob sein Schwert über den Kopf…
Aber bevor sie den beinahe unsichtbaren Feind, der sie umkreiste, angreifen konnten, zerriß ein Kreischen, beinahe schlimmer als das Geschnatter, die Dunkelheit zu ihrer Rechten. Sofort hörte der Lärm, der sie an den Rand des Wahnsinns getrieben hatte, völlig auf, ihm folgte das Geräusch kleiner Körper, die auf der Flucht durch den Wald brachen.
Noch ein Kreischen ertönte, diesmal geradeaus und weiter entfernt. Dann ein Augenblick des Wartens, währenddessen die Fluchtgeräusche beinahe in der Ferne verstummten; dann ein dritter Schrei, noch weiter weg.
»Beim heiligen Giles!« flüsterte der Ritter in die Stille. »Irgend jemand bringt sie um …«
Er hatte kaum fertiggesprochen, als der vierte Schrei ertönte, diesmal sehr weit entfernt. Danach, völlige Stille.
Betäubt ging Brian daran, Holz nachzulegen. Das Feuer knisterte, loderte von neuem auf, und die Schatten zogen sich weit zurück. Jim blickte nach oben.
»Seht«, sagte er. »Ich glaube …«
Brian blickte ebenfalls hoch. Ein Wolkenzipfel bewegte sich und gab einige Sterne frei, die noch sichtbar waren. Und der Himmel hinter den Sternen war am Erbleichen.
»Ja. Es dämmert«, sagte Brian.
Sie standen da und sahen zu, wie sich der Himmel erhellte und die noch verbleibenden Sterne verblaßten und langsam unsichtbar wurden.
»Aber wer hat uns denn nun eigentlich gerettet?« fragte der Ritter.
Jim schüttelte den Kopf.
»Ich weiß es nicht…«, sagte er rauh. »Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wer …«
Er brach ab.
Etwas hatte sich bewegt – etwas, noch schwärzer als die Dunkelheit, der immer noch tiefen Schatten außerhalb des Feuerscheins. Es bewegte sich wieder, kam langsam heran, trat ins Licht. Eine vierbeinige Gestalt, so groß wie ein kleines Pony, mit grünen Augen und einer langen, schmalen Schnauze, die halb geöffnet war, um die weißen, leuchtenden Zähne und eine Zunge zu zeigen, die so rot war wie die Flammen.
Es war ein Wolf. Ein Wolf, doppelt so groß wie das größte der Exemplare, die Jim jemals in einem Zoo oder einem Film gesehen hatte. Die grünen Augen wanderten über den Ritter und das Feuer hin und saugten sich mit brennender Wildheit an Jim fest.
»Du bist es also«, sagte eine tiefe, mißtönende Stimme aus dem mit krummsäbelartigen Zähnen bewaffneten Maul. »Nicht, daß es viel Unterschied macht, aber ich dachte es mir.«
9
D ER G EIST KANN NUR EIN bestimmtes Quantum ertragen, ehe die Reaktion einsetzt. Nach allem, was Jim durchgemacht hatte, seitdem er in diese Welt gekommen war, und besonders nach der Zerreißprobe, die er gerade als Beute der Sandmerker hinter sich hatte, hätte ihn die Tatsache, daß hier ein Wolf war, der wie ein Mensch sprechen konnte, eigentlich nicht umwerfen dürfen. Aber so war es.
Er setzte sich mit einem Plumps auf seine Hinterbeine. Wäre er in seinem normalen, menschlichen Körper gewesen, er wäre wahrscheinlich zusammengebrochen. Er rang nach Worten, während der Riesenwolf ans Feuer kam.
»Wer … wer seid Ihr?« brachte er schließlich heraus.
»Was ist los, Gorbash«, knurrte der Wolf. »Haben die Sandmerker dein Gedächtnis gefressen? Ich kenne dich ja erst seit zwanzig Jahren! Außerdem sind nur wenige am Leben, die Aragh mit einem anderen, englischen Wolf verwechseln könnten.«
»Ihr seid wer – Aragh?« krächzte Brian. Der Wolf blickte ihn an.
»Der bin ich. Und wer seid Ihr, Mensch?«
»Sir Brian Neville-Smythe.«
»Nie von Euch gehört«, brummte der Wolf.
»Meine Familie«, sagte Sir Brian steif, »ist eine jüngere Linie der Nevilles. Unser Land erstreckt sich von Wyvenstock nach Norden bis zum Lea River.«
»Da oben gibt es keinen von meinen Genossen«, knarrte Aragh. »Was habt Ihr hier, in meinem Wald, zu suchen?«
»Wir durchqueren ihn auf unserem Weg nach Malvern, Herr Wolf.«
»Nennt mich Aragh, wenn Ihr mit mir redet, Mensch.«
»Dann redet mich mit Sir Brian an, Herr Wolf!«
Araghs obere Lefze begann sich von seinen schimmernden Zähnen zurückzukräuseln.
»Warte …«, sagte Jim hastig.
Aragh wandte sich ihm zu, seine Lefze entspannte sich ein wenig.
»Dieser Sir Brian gehört zu dir, nicht wahr, Gorbash?«
»Wir sind Gefährten. Und eigentlich bin ich nicht wirklich Gorbash. Siehst du…« Jim versuchte, in aller Eile mit seiner erschöpften Kehle die Situation zu erklären, die ihn
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