Drachenritter 02 - Der Drachenritter
hätte man erwarten sollen, daß sie ihn überwältigen würden wie eine schwarze Woge die von einem Kind am Strand erbaute Sandfigur; Dafydds Pfeile forderten allerdings bereits den ersten Tribut, und dann stürzten sich auch noch Brian und Jim ins Getümmel. Araghs schwarzbepelzte Gestalt war allen anderen voraus; er wütete unter den Schwarzgekleideten und schleuderte sie mit einer Halsbewegung beiseite, als wären es Spielzeugpuppen.
Sie kämpften sich bis zu Giles vor, umringten ihn und zogen sich mit ihm, wie die Wahnsinnigen kämpfend, bis zum Fuß der Treppe zurück, dann erklommen sie die Stufen und waren wieder auf der Plattform angelangt.
Die schwarze Flut wogte ihnen nach, war aber einstweilen eingedämmt.
»Halt!« donnerte der König. »Alles muß seine Ordnung haben. Ihr werdet dort hinaufgehen und den Ungehörigsten ergreifen, den ich euch nennen werde; dann den nächsten und wiederum den nächsten, ganz gleich, welche Verluste ihr erleiden mögt.«
Jetzt, wo er keuchend und zerzaust wieder auf dem Absatz stand und umringt war von seinen atemlosen Gefährten, arbeitete Jims Verstand endlich wieder auf vollen Touren. Was Giles da getan hatte, war dumm gewesen, aber auch großartig und kühn!
Etwas Ähnliches war jetzt von Jim auf dem Gebiet der Magie gefordert. Wenn er sie alle von hier fortbringen wollte, mußte er kühn denken!
Und da fiel ihm endlich ein wildes Szenario ein, das sie sehr wohl würde retten können, wenn es ihm denn gelang, es in Magie umzusetzen. Allerdings blieb keine Zeit mehr, es auszuprobieren.
Er schrieb an die Innenseite seiner Stirn:
WIR ALLE -› HOLOGRAFIEN -› HOCHGELEGENER ORT
Wunder, o Wunder – es funktionierte!
Jim sah, wie seine Freunde flackerten, verblaßten und durchscheinend wurden. Er selbst spürte nichts, doch als er an sich hinuntersah, stellte er fest, daß seine Beine nahezu durchsichtig geworden waren. Er hatte einen willkürlichen hochgelegenen Ort ausgewählt, den erstbesten, der ihm gerade in den Sinn gekommen war, und zwar das Wohnzimmer von Malvinnes Privatgemächern, das sie erst vor kurzem mit so großer Erleichterung verlassen hatten – wie lange es her war, vermochte er nicht zu sagen, da Schwindel und Desorientierung sein Zeitgefühl durcheinandergebracht hatten. Die rasende Fahrt in der spiralförmigen Rutsche mochte Sekunden oder auch Stunden gedauert haben.
Auf einmal befanden sie sich wieder in Malvinnes Wohnzimmer. Um ihn herum nahmen Brian, Giles, der Prinz und Aragh wieder Gestalt an.
HOLOGRAFIEN -› KÖRPER
… schrieb er eilends an die Innenseite seiner Stirn. Sie waren gerettet. Sie hatten es geschafft.
Wie Jim allerdings feststellen mußte, war Malvinne jetzt ebenfalls anwesend.
28
Offenbar war Malvinne soeben damit beschäftigt, ein Nachtmahl oder ein sehr frühes Frühstück einzunehmen. Jedenfalls hatte er sich noch nicht vergewissert, ob sein prinzlicher Gefangener noch immer in Gewahrsam war.
Er saß an einem kleinen Tisch, der erstaunlicherweise mit einem Tuch gedeckt war, und darauf befanden sich die Überreste einer anscheinend recht kargen Mahlzeit sowie eine Glaskaraffe mit Wasser. Die Karaffe faßte etwa einen Liter, doch nun war höchstens noch ein Glas Wasser darin.
Malvinne hatte sich erhoben und beobachtete verdutzt, wie sich die transparenten Gestalten verfestigten.
Jim hatte ihn noch nie gesehen, und man hatte ihm Malvinne auch nicht beschrieben. Gleichwohl hatte er keinerlei Zweifel daran, daß der Mann vor ihm Malvinne war.
So wie langjährige Lehrer, Ärzte und Menschen in ähnlich spezialisierten Berufen gegen Ende ihrer Laufbahn als typische Vertreter ihres jeweiligen Berufsstandes zu erkennen waren, sah man auch Malvinne an – zumindest fand das Jim –, daß er ein erfahrener Magier war.
Dies hatte nichts mit seiner äußeren Erscheinung oder seiner Kleidung zu tun. Er wirkte etwa fünfzig Jahre jünger als Carolinus, der, wie Jim wußte, in Malvinnes Alter war. Sein kastanienbraunes Haar wies einen ganz schwachen grauen Schimmer auf. Auch sein gepflegter Schnurrbart war kastanienbraun. Er war ein kleiner, braunäugiger, spatzenhafter Mann und trug prachtvolle Gewänder, die eines Magiers mehr als würdig waren – ein rotsamtenes Wams über einer weichen, blauen Hose, die einen Höfling am Hofe eines Monarchen hätten neidisch machen können. An der Seite trug er ein schmales Schwert, zu leicht für ein Breitschwert und zu lang, als daß es sich um ein bloßes
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