Drachenritter 05 - Der Drache, der Graf und der Troll
je ein Graf irgendwo auf der Welt schon einmal mit einem Troll von solch hohem Alter verhandelt hat - einem Troll, der schon auf der Welt war, als die Römer diese Insel beherrschten. Ja, wirklich, ich bin mir dessen sicher. Die Geschichte hätte ein Ereignis von solcher Bedeutung verzeichnet. Der Name des Grafen wäre nicht nur in den Chroniken der Mönche in großen Lettern aufgetaucht, sondern auch in den Legenden der Bevölkerung...«
»Hm...?« Der Graf räusperte sich fragend und sah Chandos an, der seinerseits ins Leere schaute und seinem Blick auswich. »Ob sie sich seines Namens entsinnen würden? Ja, ja - ich denke, das würden sie -, das heißt, wenn es einen solchen Vorfall gegeben hätte. Ja, da habt Ihr ganz recht.«
Jims Gedanken überschlugen sich. Chandos hatte den Riß, den Jim in dem Widerstreben des Grafen ausgemacht hatte, sehr klug genutzt, um an die Eitelkeit des Grafen zu appellieren. In diesem vierzehnten Jahrhundert hatten alle Menschen eins gemeinsam: Sie waren alle verhinderte Schauspieler. Der Kronprinz pflegte Vergünstigungen und Geschenke rechts und links zu verteilen, wenn ihn die Laune ankam, und das trotz aller Versuche, ihn zurückzuhalten - weil ein solches Tun einfach >königlich< war.
Jeder König gierte nach einer Gelegenheit, königlicher als jeder andere König zu erscheinen. Jeder Prinz wollte prinzlicher sein und so weiter, bis hinab zum Grafen. Und genaugenommen setzte sich diese Eigenschaft bis zu den Mitgliedern niederer Ränge fort, da ein jeder bedeutender erscheinen wollte als alle anderen Menschen seines Rangs. In eben diesem Augenblick sah der hochwohlgeborene Graf von Somerset, der hier vor ihnen stand, bereits die Mönche seinen Namen in ihren Chroniken verzeichnen. Diese Aussicht war eine große Versuchung.
Er war immerhin ein Ritter, und ein Ritter brachte sich mit Mut und Tollkühnheit in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Daher waren Männer wie der Graf, Sir Brian und Sir Harimore, sobald sie vom Knappen zum Ritter aufstiegen, darauf abgerichtet, jede sich bietende Gelegenheit zu nutzen, um sich ins Rampenlicht zu stellen. In der Erregung des Augenblicks konnten sie jeden Preis, selbst mögliche Verletzungen oder den Tod vergessen - und genau diese Aufregung hielt den Grafen nun in ihren Fängen.
Aber dieser Eigenschaft war in seinem vergangenen Lebensjahrzehnt ein starker Gegner erwachsen. Dem Grafen war bewußt geworden, daß es im Leben noch andere Dinge gab als den Kampf mit Schwert oder Lanze. Dieses Wissen, vereint mit einem gleichermaßen starken Bewußtsein, daß das Leben schön war und er es recht gern noch für eine ganze Anzahl von Jahren weiterleben wollte, trug nun einen harten Kampf mit dem verführerischen Gedanken eines Chronikeintrags aus.
Jim beschloß, alles auf eine Karte zu setzen. Der Graf war ins Wanken geraten, und wenn überhaupt, dann war genau jetzt der Zeitpunkt gekommen, um ihm einen Stoß in die richtige Richtung zu geben. Er hatte beabsichtigt, dem Grafen so wenig wie möglich von Carolinus oder Araghs Anteil an der Begegnung zu erzählen - ganz einfach deshalb, weil er nicht sicher war, daß der Graf nicht etwas durchsickern lassen würde, so daß schließlich alle von den geplanten Verhandlungen erfuhren.
Wenn der Graf allerdings einen Eid leistete, das Geheimnis niemandem preiszugeben, konnte das nicht passieren. Aber es wäre die schlimmste aller Kränkungen, den Grafen zu einem solchen Eid aufzufordern. Er würde darauf beharren, daß sein Wort für jedermann reichen sollte - nur daß Jim sich nicht recht wohl dabei fühlte.
»Mylord«, sagte er, »würdet Ihr bitte zu dieser Schießscharte treten?«
Sie befanden sich in einem der oberen Räume des Turms, und die Schießscharte gab ihnen einen guten Blick auf den vorderen Teil der Burg, die gerodete Fläche hinter der Ringmauer und die ersten Bäume des Waldes.
»Warum?« begehrte der Graf auf.
»Ich möchte Euch etwas zeigen, Mylord«, sagte Jim. »Dies ist eine Angelegenheit von größter Wichtigkeit und Vertraulichkeit. Wenn Ihr mir den Gefallen tun wolltet...«
Der Graf gab einen unverbindlichen Laut von sich, kam aber wie gebeten an die Schießscharte und blickte hinaus.
»Ihr seht, Mylord«, sagte Jim, »daß hinter dem gerodeten Gelände, wo die Bäume des Waldes beginnen, eine Stelle liegt, wo sich eine natürliche Lichtung zwischen den Bäumen auftut. Vielleicht nicht groß genug für zwei Ritter, die mit Lanzen gegeneinander reiten, aber ansonsten
Weitere Kostenlose Bücher