Drachenritter 05 - Der Drache, der Graf und der Troll
sich langsam wieder unter Kontrolle. Dabei entdeckte er, daß die übelsten Nachwirkungen des gestrigen Abends verschwunden waren, einschließlich der Kopfschmerzen. Der Grund dafür war höchstwahrscheinlich ein schlichter Schock und weniger die narkotische Wirkung des flüssigen Dynamits, das er geschluckt hatte. Denn was Giles ihm gegeben hatte, war der reinste aller destillierten Schnäpse, die ihm in seinem Leben jemals untergekommen waren.
Das Gebräu mußte ungefähr neunzig Prozent Alkohol enthalten haben. Sein Mund, seine Zunge und seine Kehle hatten immer noch dieses Gefühl, das er von jenen Gelegenheiten in Erinnerung hatte, bei denen er sich mit heißer Suppe oder Kaffee den Mund verbrannt hatte. Es war das letzte Heilmittel, das Jim von Giles erwartet hätte.
»Wo habt Ihr das her?« krächzte er und fragte sich gleichzeitig, ob dies vielleicht die Flüssigkeit war, der die Amme so reichlich zugesprochen hatte. Es war undenkbar. Das Getränk der Amme mußte wenigstens bis zu einem gewissen Grad verdünnt worden sein. »Ist es das, was man französischen Brandy nennt?«
»Genau!« erwiderte Giles strahlend. »Der Graf hat einen kleinen Vorrat davon und war so freundlich, mir etwas zu geben, als ich ihm erzählte, es sei für den Drachenritter.«
»Ah«, sagte Jim, der sich freute, daß er richtig geraten hatte. Dann kam ihm ein häßlicher Gedanke. Er schob ihn weit von sich - gewiß war nicht einmal Agatha Falon tollkühn genug zu versuchen, einen Magier zu vergiften. Jeder wußte doch, daß ein Magier nicht nur das Gift entlarven konnte, bevor er es auch nur kostete, sondern daß er auch mit allen möglichen magischen Gewalttaten zurückschlagen konnte.
Giles hatte wieder zu sprechen begonnen, aber Jim bekam nicht mit, was er sagte, weil in eben diesem Augenblick ein langgezogenes Heulen zu hören war. Es kam aus dem Wald, und seine Lautstärke wurde von den Fensterläden gedämpft, die immer noch geschlossen waren. Aber das Heulen selbst war unverkennbar gewesen. Aragh rief abermals nach Jim.
Jim suchte in Gedanken hastig nach einer Entschuldigung, mit der er sich unverzüglich von Sir Giles verabschieden konnte. Er suchte immer noch, als Carolinus durch die Tür kam. Der Posten hatte nicht versucht, ihn aufzuhalten, was Jims Meinung nach auf bemerkenswerte Vernunft deutete.
»Nein, nein, kümmert Euch nicht darum!« sagte Carolinus gereizt. Er zeigte mit der Hand in Giles' Richtung und machte einen verärgerten Eindruck. »Euer Freund kann uns jetzt nicht hören. Aber wir brauchen augenblicklich Eure Hilfe. Die Begegnung zwischen dem Grafen und dem Troll wird heute nachmittag stattfinden müssen. Um genau zu sein, sie muß jetzt stattfinden.«
Jim warf einen Blick auf Giles, der scheinbar erstarrt mit offenem Mund und freundlichem, fragendem Blick auf seinem Platz saß. Bevor Jim etwas sagen konnte, fuhr der ältere Magier ein wenig wohlgelaunter fort.
»Meine Güte, diese Hypnose von Euch ist bisweilen ziemlich praktisch!«
»Warum schon jetzt?« fragte Jim, der immer nur eine Sache nach der anderen verarbeiten konnte.
»Ihr habt doch gerade Aragh gehört«, antwortete Carolinus. »Er hat uns erzählt, daß Mnrogar unterwegs zum Treffpunkt sei. Der Graf erwartet uns am Burgtor, und wir wollen ihn an besagten Ort schaffen, bevor Mnrogar auftaucht. Ihr müßt ebenfalls zugegen sein.«
»Aber warum denn so plötzlich?« verlangte Jim zu wissen. »Ist etwas passiert?«
»Nur daß der Graf beschlossen hat, daß er das Treffen auf der Stelle abhalten will«, erwiderte Carolinus. »Ihm ist plötzlich klargeworden, daß er außer dem Bischof keinen seiner Gäste als Zuschauer haben möchte, und dem Bischof haben wir gesagt, er solle die Begegnung heimlich von den Zinnen aus beobachten. Zu dieser Zeit werden alle anderen Gäste beim Essen im Saal sein und jeden Augenblick mit dem Grafen rechnen. Der Graf möchte nicht, daß die Gäste den Troll sehen, was vernünftig ist. Ja wirklich, Ihr hättet das vorher bedenken sollen.«
»Hätte ich?« fragte Jim.
»Natürlich!« entgegnete Carolinus. »Das gehört zu den Pflichten eines Lehrlings - sich um die Einzelheiten zu kümmern! Aber wie dem auch sei, Ihr müßt augenblicklich mitkommen.«
»Aber was soll ich denn mit Giles machen?« fragte Jim. »Ich kann ihn doch nicht einfach hier sitzen lassen.«
»Natürlich könnt Ihr das«, schnaufte Carolinus. »Er wird sich an nichts erinnern als das, was Ihr als letztes zu ihm gesagt habt. Die
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