Drachenritter 05 - Der Drache, der Graf und der Troll
Überraschung - obwohl er eigentlich nicht hätte überrascht sein sollen - andere Stimmen ein, bis die ganze Gesellschaft mit ihm sang; anscheinend hatten sich alle jedes Wort seines Liedes eingeprägt. Aus der Sicht des zwanzigsten Jahrhunderts war dies beinahe unmöglich, aber diese Leute hatten zwangsläufig das gute Gedächtnis derer, die größtenteils kaum mehr als ihren eigenen Namen schreiben konnten. Hinzu kam ihr gutes Ohr für Musik.
Strahlend vor Glück nahm Jim wieder seinen Platz ein.
23
Jim kam mit dem vagen Gefühl wieder zu Bewußtsein, daß aus irgendeinem Grund eine Herde Elefanten über ihn hinweggetrampelt war. Langsam trieb er aus der verschwommenen Dunkelheit seines Schlummers an die Oberfläche - nicht weil er es wollte, sondern weil er es nicht verhindern konnte. Nach und nach stellte sich auch die Erinnerung an den vergangenen Abend ein.
Er hatte >Good King Wenceslas< gesungen, der Bischof hatte seinen Gesang vor den anderen Gästen gelobt, und schließlich hatte er unter allgemeinem Applaus von neuem zu singen begonnen. Aber das war erst der Anfang des Abends gewesen, nicht das Ende. Jetzt, da sie ihn einmal zu fassen bekommen hatten, wollten die Gäste ihn nicht so einfach wieder ziehen lassen. Sie wollten, daß er noch etwas anderes für sie sang. Sie wollten, daß er noch ein Lied sang, das sie noch nie zuvor gehört hatten.
Jim hatte darauf bestanden, daß auch noch einige andere Leute an die Reihe kamen, aber zu guter Letzt waren sie immer beharrlich zu ihm zurückgekehrt. Während dieser Zeit jedoch hatte er Gelegenheit gehabt, angestrengt nachzudenken. Schließlich stand er auf und sang ihnen die Ballade von den Martins und McCoys, wobei er die geziemenden Veränderungen vornahm, indem er die Martins und die McCoys zu zwei Ritterfamilien des vierzehnten Jahrhunderts machte.
Die Worte, die er gegenüber dem ursprünglichen Text geändert hatte, schwankten zwischen peinlich und unsinnig; und manchmal waren es lediglich sinnlose Laute, die nur dazu dienten, Rhythmus und Zeilenlänge einzuhalten. Aber wenn überhaupt, so war dieses Lied ein noch größerer Erfolg als >Good King Wenceslas<.
Danach wurden seine Erinnerungen an den Abend immer bruchstückhafter. Er entsann sich, daß es noch bis spät so weitergegangen war und daß er noch eine Reihe von notdürftig der Zeit und dem Ort seines augenblicklichen Lebens angepaßten Liedern gesungen hatte. Alle Lieder stießen auf großen Beifall bei seinem Publikum. Er sang den Leuten >The Face on the Barroom Floor< als eine romantische Ballade, die mit einem Ritter begann, der vor einem Hexenmeister gefesselt am Boden lag und zu Tode gefoltert werden sollte. Irgendwie gelang es ihm jedoch, seine Ketten zu sprengen und die Prinzessin im Turm doch noch zu retten. Nichtsdestoweniger büßte er die Prinzessin zu guter Letzt wieder ein. Das traurige Ende des Liedes hatte Jim zuerst einiges Kopfzerbrechen bereitet, er hätte sich jedoch keine Gedanken zu machen brauchen. Wie er herausfand, liebten seine Standesgenossen Tragödien beinahe so sehr, wie sie Blut liebten. Und ihr Appetit auf Blut war bemerkenswert.
Danach, so hatte er den vagen Eindruck, hatte er noch ein paar andere Sachen gesungen - aber genau da ließ sein Gedächtnis ihn im Stich. Irgendwie mußte er dann dorthin gelangt sein, wo er sich nun befand. Als er aus der schummrigen Dunkelheit seines Schlummers emporstieg, wurde er sich eines gräßlichen Kopfschmerzes bewußt. Ferner hatte er das Gefühl, zu etwas geworden zu sein, das zum Sterben aus dem Holz gekrochen war, und erst nach und nach ging ihm auf, daß er in dem äußeren der beiden Räume lag, die er mit Angie, den Dienern und Robert teilte.
Er lag auf seiner Matratze auf dem Fußboden, und neben ihm lag ein Stück Papier, auf dem etwas geschrieben stand. Als er näher hinsah, schien es seinem trüben Blick, als handele es sich um Angies Handschrift, aber im Augenblick war er nicht in dem Zustand, irgend etwas zu lesen. Er hievte sich mühsam hoch, taumelte zum Tisch, fand den Wasserkrug und trank ihn beinahe leer; dann ließ er sich in einen Sessel fallen.
Er wünschte sich verzweifelt, wieder einschlafen zu können, aber es war ihm unmöglich. Zum Schlafen fühlte er sich im Augenblick zu elend.
Er erinnerte sich, daß er schon einmal nach einem unvorsichtigen Abend einen schweren Kater gehabt hatte. Damals war er hinausgegangen und hatte Sir Brian und John Chandos vorgefunden, die Gorp, sein
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