Drachenritter 05 - Der Drache, der Graf und der Troll
keinen Muskel. Er blieb einfach sitzen, wo er war. Mnrogar, der jedem kleinen Schritt ein ausgiebiges Zögern folgen ließ, erreichte schließlich denjenigen der beiden Hocker, den man absichtlich ein kleines Stück weiter von Jim entfernt aufgestellt hatte als den, auf dem der Graf Platz nehmen sollte. Er setzte sich mit dem Rücken zur Burg und ließ den letzten freien Platz für den Grafen übrig.
»Wo ist er?« knurrte Mnrogar.
»Der Graf?« fragte Jim so unschuldig und milde, wie er das mit seiner Drachenstimme fertigbrachte. »Er müßte eigentlich jeden Augenblick hier sein - ah, da sehe ich ihn auch schon zwischen den Bäumen kommen.«
Jim sah den Grafen tatsächlich kommen. Carolinus war bei ihm, und nicht nur Carolinus - auf der anderen Seite des Grafen ging noch eine andere Person.
Glücklicherweise zucken Drachen nicht zusammen, wenn sie erschrecken. Sie sind einfach nicht so beschaffen, und in diesem speziellen Fall sprach eine Menge für diesen Umstand. Die Person auf der anderen Seite des Grafen war Angie.
Sowohl Angie als auch Carolinus schienen von einer Art Glorienschein umgeben zu sein. Jim blinzelte, aber die Glorienscheine blieben unverrückbar. Mnrogar wandte sich um und sah hin, schien an den drei Gestalten, die auf sie zukamen, jedoch nichts Merkwürdiges zu finden. Sein Blick war ausschließlich auf den Grafen gerichtet, der ihn grimmig erwiderte.
»Es ist jetzt alles in Ordnung, James«, rief Carolinus, sobald sie nahe genug waren. »Angie und ich sind für Mnrogar unsichtbar - und nicht nur für ihn, sondern auch für den Grafen und die Leute auf der Ringmauer.« Carolinus und Angie hinterließen, wie Jim nun bemerkte, keine Spuren in dem Schnee, über den sie gingen.
Der Magier blieb ein kleines Stück vor dem Tisch stehen. Der Graf und Angie gingen weiter, wobei der Graf Mnrogar immer noch finster anstarrte. Er nahm seinen Platz an der Längsseite des Tisches ein, und Angie trat neben Jim, um ihm eine Hand auf seine Drachenschulter zu legen.
»Angie ...«, begann er.
»Niemand außer dir und Carolinus kann mich hören«, sagte sie Jim leise ins Ohr. »Dreh dich nicht um, wenn du mit mir sprichst. Ich habe dich und Carolinus gesehen, als ihr die Burg verlassen habt, und ihn eingeholt, nachdem er dich hierher geschickt hatte. Ich habe ihn gezwungen, mir zu sagen, was das Ganze soll, und ihm dann klargemacht, daß ich mich nicht ausschließen lassen würde. Du kannst ruhig mit mir reden, wenn du möchtest. Die anderen werden nicht sehen, daß du den Mund bewegst, solange du nur mit mir sprichst.«
»Du hättest das nicht tun sollen, Angie«, sagte Jim.
»Warum nicht?« fragte Angie. »Weder der Graf noch der Troll können mich sehen oder hören, wie könnte mir da irgendeine Gefahr drohen? Aber vielleicht kann ich dir mit ein oder zwei Vorschlägen weiterhelfen, Jim. Du weißt ja, daß ich in solchen Dingen ein gewisses Geschick habe.«
Das entsprach natürlich der Wahrheit.
»Na schön«, meinte Jim. »Aber versuch nicht, hilfreich zu sein, es sei denn, du bist dir absolut sicher, daß du mich damit nicht aus dem Gleichgewicht bringst.«
»Keine Bange«, sagte Angie beschwichtigend. »Meine Güte, ich hatte ganz vergessen, was für ein hübscher Drache du bist. Der Troll muß in seinem Kilt oder wie auch immer er dieses Ding nennt, ziemlich frieren. Warum erfriert er hier draußen eigentlich nicht?«
»Wahrscheinlich aus demselben Grund, weshalb ich als Drache ohne jedwede Kleider nicht erfriere«, erwiderte Jim. »Kälte, Regen, Wind, Graupel, wahrscheinlich sogar Hagel kann ich ertragen - es ist die Hitze, die mir zusetzt, wenn ich ein Drache bin. Und nun wollen wir nicht länger miteinander reden. Ich muß dieses Gespräch in Gang bringen, bevor die beiden übereinander herfallen.«
Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Mnrogar und den Grafen. Mnrogar saß immer noch vollkommen reglos da, und zumindest nach menschlichen Maßstäben war sein Gesicht ohne jeden Ausdruck. Er vermittelte eine seiner Natur entsprechende Bedrohlichkeit, und die spitzen Zähne, die man durch die leichte Öffnung seiner dünnen Lippen sehen konnte, taten ein übriges. Aber davon abgesehen ließ er sich nichts anmerken. Bei dem Grafen indes lagen die Dinge anders.
Die unmenschliche Kraft, die der gewaltige Oberkörper des Trolls offenbarte, schien den Grafen nicht im mindesten einzuschüchtern, ebensowenig wie die drohende Gefahr, die von seinen Zähnen und den grausam gekrümmten Krallen
Weitere Kostenlose Bücher