Drachenritter 05 - Der Drache, der Graf und der Troll
drohte.
»Wie lange seid Ihr schon hier, Aragh?« fragte Jim.
»Ich bin mit Brian gekommen«, sagte Aragh. »Wir haben uns in Mnrogars Höhle getroffen und sind durch die Ställe und die Turmtreppe hinaufgekommen. Die Diener sind alle fleißig bei der Arbeit, während die Gäste in der Halle speisen. Niemand hat mich gesehen. Wenn es anders gekommen wäre, hätten wir so getan, als sei ich nur ein großer Hund. Aber es hat uns niemand gefragt.«
»Nun, ich bin jedenfalls froh, Euch zu sehen, Aragh«, sagte Jim. »Das Licht, das durch die Schießscharte fällt, schien mir in die Augen, sonst hätte ich Euch früher bemerkt. Ihr werdet wahrscheinlich noch besser als Brian begreifen, wie schlecht ich zu Euch allen passe.«
Aragh schnaubte.
Eine Sekunde lang schien es, als wolle er Jim den Rücken zukehren und aus dem Zimmer gehen - der stärkste Ausdruck der Verachtung, dessen ein Wolf fähig war; aber er tat es nicht.
»Wenn Ihr wollt, daß meine Freundschaft mit Euch ein Ende findet«, sagte der Wolf, »sprecht Ihr genau die richtigen Worte, James. Was soll dieses Gejaule, wie man es von einem drei Tage alten Jungen erwarten dürfte? Bevor Ihr hier wart, wart Ehr an einem anderen Ort, sagtet Ihr. Habe ich das falsch verstanden?«
»Nein«, antwortete Jim, »das habt Ihr nicht. Ich bin nur...«
»Und als Ihr dort wart, wart Ihr ein Mann, oder nicht?«
»Natürlich«, sagte Jim.
»Kein Drache?«
»Nein«, erwiderte Jim. »Worauf wollt Ihr...«
»Ich bin ein Wolf«, fiel Aragh ihm ins Wort. »Ich war mein Leben lang ein Wolf. Ich werde ein Wolf sein bis ans Ende meiner Tage. Danach mögen die Raben meine Knochen abnagen. Es wird keine Rolle spielen. Ihr sagt, Ihr wäret da, wo Ihr früher wart, ein Mann gewesen. Ihr seid hier ein Mann. Bleibt ein Mann, und was für eine Rolle spielt alles andere? Die Zeit wird kommen, da Ihr das, was sich gegen Euch stellt, nicht töten könnt. Dann werdet Ihr sterben. Alle Dinge sterben. Aber nichts kann Euch nehmen, daß Ihr von der Geburt bis zum Tod ein Mann wart. Nichts anderes zählt.«
Von Brian kam ein tiefes, kehliges Geräusch, als wolle er etwas sagen. Aragh blickte auf, und Brian ließ sich, das Kinn auf die Hand gestützt, wieder in seinen Sessel sinken.
»Wenn Ihr mir gerade erklären wolltet, daß ich James' Situation nicht begreifen kann«, sagte Aragh zu dem Ritter, »werde ich Euch antworten. Auch das bedeutet nichts im Vergleich zu der Tatsache, daß wir sind, was wir sind. Wir tun, was wir können. Wenn wir das nicht länger können, sind wir erledigt; wir haben unsere Jahre gehabt und sie ausgefüllt, und was mehr können wir verlangen?«
Dann sah er wieder Jim an, dem in diesem Augenblick zu Bewußtsein kam, wie sehr er bei diesen beiden Freunden auf die Tränendrüse gedrückt hatte.
»Ihr habt recht«, war alles, was er hervorbringen konnte.
»Natürlich habe ich recht«, sagte Aragh.
Dann sah er Brian an.
»Wollt Ihr das bestreiten, Brian?«
»Ha - nun«, erwiderte Brian, »ein Edelmann ist doch etwas mehr als nur ein Mann. Ehre, Pflicht... Aber an dem, was Ihr sagt, ist einiges dran, Aragh.«
Und das war es tatsächlich, dachte Jim. Überraschenderweise lag in Araghs Worten beträchtlicher Trost. Seine Stimmung hob sich ihrem fröhlicheren, optimistischeren Normalzustand entgegen; außerdem war ihm gerade erst ein bestimmter Gedanke gekommen.
»Ach übrigens, Aragh«, sagte er, »wißt Ihr etwas über Kobolde?«
»Nur sehr wenig«, erklärte Aragh. »Ich sehe sie von Zeit zu Zeit, wenn sie auf dem Rauch durch die Wälder reiten, um an irgendeinen Ort zu gelangen. Aber im großen und ganzen sind sie Hausgeschöpfe, und ich habe nichts mit ihnen zu tun. Ich weiß jedoch, daß sie furchtsam sind wie Feldmäuse.«
»Schade«, sagte Jim halb bei sich. »Ich habe gerade darüber nachgedacht, was einen Kobold wohl so bewegen mag. Unser Kobold aus dem Schornstein der Anrichtestube auf Malencontri ist neulich hier aufgetaucht, um mir etwas von den Cliffside-Drachen auszurichten.«
»Von den Drachen?« fragte Brian. »Was haben die Cliffside-Drachen mit alledem zu tun?«
»Oh, Secoh hat mir eine Nachricht gebracht«, sagte Jim. »Habe ich Euch noch nichts davon erzählt?«
»Ich erinnere mich nicht daran, daß Ihr mir etwas erzählt hättet, James«, meinte Brian. »Ihr habt doch nicht noch ein Problem, mit dem Ihr Euch herumplagen müßt?«
»Um genau zu sein, doch«, sagte Jim. Er hatte Brian bereits so viel erzählt, daß er ihm ebensogut
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