Drachenritter 05 - Der Drache, der Graf und der Troll
heller wurde, als ihre Augen sich an die Lichtverhältnisse anpaßten. Es war eine gewaltige Höhle mit einem hohen Gewölbe, einem beckenartigen Boden und einer einzigen senkrechten Felswand, so daß die ganze Höhle wie ein natürliches Amphitheater wirkte, tief verborgen im Felsgestein, das den Drachen von Cliffside als Heim diente.
Die Wand und die Decke waren aus dunklem Granit. Aber sie waren durchzogen von einem vollkommenen Netzwerk von Adern, die wie geschmolzenes Silber aussahen; keine dieser Adern war dicker als ein Bleistift, aber alle zusammen überzogen sie in einem dichten Netz die Decke. Jede der schmalen Silberlinien verströmte Licht - etwas mehr als ein Schimmern und etwas weniger als eine Kerze.
Das Ergebnis war - und es wurde offenbar, als ihre Augen sich endgültig angepaßt hatten -, daß die ganze Höhle einschließlich ihres gewölbten, natürlichen Dachs von diesen Adern beleuchtet wurde. Es war nicht so hell wie bei Tageslicht - das heißt, man könnte wohl sagen, es war so hell wie an einem Gewittertag. Im Augenblick waren nur wenige Drachen zugegen, von denen einige sich unterhielten und die übrigen durch einen der vielen Eingänge die Höhle betraten, durchquerten oder durch einen anderen Eingang wieder verließen.
Jim zauberte eine der gepolsterten und mit Rückenlehnen versehenen Bänke aus seinem Palas herbei und setzte sich hin. Kob-Eins hockte immer noch auf seiner Schulter. Secoh ließ sich auf seine Hinterbeine nieder -was für einen Drachen keineswegs eine übliche Haltung war, aber er hatte sich diese Art des Sitzens angewöhnt, seit er Jim auf Malencontri besuchte und mit ihm und anderen Menschen Kontakt pflegte.
»Wie geht es jetzt weiter?« flüsterte Kob-Eins Jim ins Öhr. Beim Sprechen sah er vorsichtig zu Secoh hinüber.
»Wir warten«, sagte Jim.
Sie warteten.
Nach und nach schlenderten immer mehr Drachen in die Höhle. Sie kamen durch die verschiedenen Eingänge und hatten die Neigung, sich in deren Nähe zu versammeln, um leise miteinander zu reden. Auf diese Weise drang nur ein tiefes, unverständliches Gebrumm zu Jim, Kob und Secoh hinunter, die an der tiefsten Stelle des schüsseiförmigen Bodens warteten.
Während jedoch immer mehr Drachen herbeikamen, wurden die bereits anwesenden langsam, aber sicher auf die Stelle zugedrängt, wo Jim, Kob und Secoh saßen. All das ereignete sich wie von ungefähr, ganz so, als sei es lediglich eine zufällige Bewegung unter den Drachen, die von einer Gruppe zur anderen schlenderten.
Trotzdem war die Höhle binnen einer Viertelstunde annähernd zu drei Vierteln gefüllt. Zu diesem Zeitpunkt vermutete Jim, daß die meisten, wenn nicht sogar alle Drachen von Cliffside eingetroffen waren; aber trotzdem neigten sie nach wie vor dazu, sich in kleinen Grüppchen an der Wand zusammenzudrängen.
Aber dann setzte eine neue Bewegung ein. Es war eine Art Hüpfen, mit der sich die einzelnen Drachen von einer Gruppe zur anderen bewegten, und die Woge großer Leiber floß der Schräge des Bodens folgend zu Jim, Secoh und Kob-Eins hinunter, bis diese die gesamte Masse der Drachenleiber vor sich hatten. Das Ganze geschah unter leisem Gemurmel der Drachen. Aber als sie sich endlich dicht um die Besucher geschart hatten, erstarb das Gemurmel, und ein vollkommenes Schweigen legte sich über die Höhle.
»Jim!« rief ein großer Drache in der vordersten Reihe, dessen unglaubliche Baßstimme diese einzelne Silbe von den Wänden der Höhle zurückprallen ließ. In der Stimme schwang ein Hauch von Überraschung mit, als hätte Jim sich gerade in dieser Sekunde vor den Augen des Sprechers materialisiert.
»Gorbash!« erwiderte Jim. Gorbash war der einzige Drache, der Jim nicht mit >James< anredete. Es war ein besonderer Beweis der Vertrautheit zwischen ihnen.
»Also«, dröhnte ein kleiner, breiter Drache, der ebenfalls in der vordersten Reihe stand, ungefähr drei Drachen links von Gorbash, »wann brechen wir zur Burg des Grafen auf?«
Es sah den Drachen durchaus ähnlich, sich einem Thema nur sehr langsam zu nähern und dann plötzlich mitten hinein zu springen.
»Das ist der Grund, warum ich hier bin...« Jim überlegte verzweifelt, wie der Drache hieß, der gerade gesprochen hatte. Eine weiße Narbe, die über den oberen Teil seiner Schnauze verlief, half seinem lückenhaften Gedächtnis auf die Sprünge. »...Lamarg. Ich habe diese Reise eigens unternommen, um Euch allen davon zu berichten. Morgen wird es soweit
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