Drachenritter 05 - Der Drache, der Graf und der Troll
durch einen so dichten Wald wie diesen wollte, auf einem so wenig benutzten Pfad und zu dieser Jahreszeit, da die Gesetzlosen in den Wäldern Hunger litten und manchmal weniger als menschlich waren in ihrer Not. Die Toten waren fast alle auf der Stelle gestorben, und die beiden, die nicht sofort tot gewesen waren, hatten beim ersten Schuß tödliche Wunden empfangen. Wahrscheinlich waren sie überdies von ihren Pferden geworfen worden und waren außerstande gewesen wieder aufzustehen, bevor man ihnen die Kehlen aufschlitzte.
Neben den toten Bewaffneten fanden sich noch vier weitere Leichen. Ein großer dünner Mann von mindestens Mitte Fünfzig, wenn nicht sogar älter. Er trug einen Plattenpanzer unter einem Umhang mit einem Wappen darauf, aber sein kostbares Ritterschwert steckte nicht mehr in der Scheide.
Sein Stahlhelm war heruntergefallen, und sein ergrauendes Haar regte sich leicht in der Brise, die jetzt aus den Bäumen kam. Unter diesem Haar erschien sein Gesicht für einen so gewaltsam getöteten Mann seltsam ruhig. Auch er war sofort gestorben, denn der Schaft ragte aus seiner Brust. Das Gesicht wirkte vornehm mit hoher Stirn und friedlichen, blauen Augen, die jetzt blicklos die dunkler werdenden Wolken am Himmel anstarrten. Nur er und die tote Frau neben ihm waren reich genug gekleidet, um einer vornehmeren Gesellschaftsschicht angehört zu haben.
Die tote Frau war nicht so leicht gestorben. Ein Pfeil war durch ihren Unterleib gedrungen, anschließend hatte man ihr die Kehle aufgeschlitzt. Sie lag nicht auf dem Rücken wie der ältere Mann, sondern auf der Seite, und ihr schmerzverzerrtes Gesicht verriet, obwohl es in dem knapp drei Zoll hohen Schnee halb verborgen war, daß sie nicht älter als Mitte Zwanzig gewesen sein konnte.
Sowohl ihr graues Reisegewand wie auch der dunkelrote Umhang des Mannes waren zerschnitten und aufgerissen worden - offensichtlich in einer hastigen Suche nach irgendwelchen besonderen Wertgegenständen, die die beiden vielleicht bei sich gehabt hatten. Die Leichen der übrigen hatte man nicht angerührt; lediglich die Stiefel und die Waffen der Bewaffneten waren genau wie das Schwert des toten Ritters verschwunden.
»Ich glaube, sie haben uns kommen hören, Sir Brian«, sagte Alfred zu Brian. »Wer immer das getan hat, ist nicht dageblieben, um sich gründlicher umzusehen, ob es noch mehr zu stehlen gab als Essen oder Wertgegenstände. Als wir diese Leichen erreichten, waren sie noch ganz warm - und das bei diesem Wetter.«
»Pst!« sagte Angie. »Hört doch. Wenn dieses Piepsen noch einmal ertönt, möchte ich herausfinden, was es damit auf sich hat!«
Sie drängte ihr Pferd, das auf gleicher Höhe mit Gerondes Pferd gestanden hatte, einige Schritte vor.
»Können wir da so sicher sein?« fragte Jim. »Würden die Leichen nicht mindestens fünfzehn oder sogar zwanzig Minuten lang warm bleiben?«
»Der Mann hat recht«, sagte eine rauhe Stimme ein kleines Stück hinter ihm. »Sie sind weggelaufen, als sie Eure Bewaffneten kommen hörten. Es waren Männer in zerlumpten Kleidern, und die ganze Angelegenheit dauerte nur wenige Augenblicke - dann war alles vorüber.«
Der Wolf war, wie er es so gern tat, aus dem Nichts erschienen. In dem verblassenden Tageslicht wirkte er noch größer als gewöhnlich, so daß er zwischen den Pferden - die sofort versuchten, vor ihm zurückzuscheuen - buchstäblich die Ausmaße eines Ponys zu haben schien.
»Ihr seid dabeigewesen und habt zugesehen?« fuhr Geronde auf. »Und nichts getan?«
»Ich bin ein englischer Wolf!« entgegnete Aragh. »Was bedeutet es für mich, ob Ihr Menschen Euch tötet oder einander beraubt?«
Er blickte von einem zum anderen, aber dann sprach er weiter, und sein Tonfall war eine Spur weniger grimmig. »Aber zufälligerweise, Geronde«, sagte er, »hatte ich sie kaum erreicht, als es schon losging. Obwohl ich alles hören konnte, ihre Stimmen und die anderen Geräusche und das Näherkommen der Leute, die sie ermordet haben - und erst recht natürlich das Herannahen Eurer eigenen Männer.«
»Aber als sie flüchteten, habt Ihr nichts unternommen«, sagte Geronde.
»Was hätte das schon geändert?« fragte Aragh zurück. »Hätte es die Toten wieder lebendig gemacht? Richtet mich nicht nach Euren Zweibeinergrundsätzen, Geronde!«
»Ich dachte«, sagte Geronde eisig, »daß selbst ein Wolf wenigstens einen Funken Ehre im Leib hätte!«
»Ehre bedeutet mir nichts«, erwiderte Aragh. »Ich weiß, daß Leute
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