Drachenritter 05 - Der Drache, der Graf und der Troll
wie ihr für Ehre lebt und sterbt, aber mir bedeutet sie nichts. Töten und getötet werden, so ist es immer gewesen, und so wird es immer sein. Auch ich werde eines Tages sterben - so wie jene hier gestorben sind.«
»Pst, sagte ich!« meldete Angie sich mit einem lauten, aber zornigen Flüstern zu Wort. »Hört doch!«
Sie lenkte ihr Pferd noch einige Schritte weiter nach vorn, bis es neben einer der beiden toten Dienstfrauen stand, die den Ritter und die Dame in seiner Gesellschaft begleitet hatten. Sie blickte nicht auf die Leiche hinab, bei der es sich um eine ziemlich stämmige Frau in mittleren Jahren und Kleidern der unteren Klasse handelte, die augenblicklich getötet worden war, da ein Pfeil aus ihrer Brust ragte. Ein kleines Stück weiter entfernt lag eine zweite Dienstfrau in sich zusammengesunken da; sie hatte eine Pfeil in den Rücken bekommen, so daß es aussah, als hätte sie am Boden gekniet, als sie erschossen wurde.
Und dann hörten sie alle das Piepsen.
Es war ein dünnes, feines Geräusch, aber inmitten des allgemeinen Schweigens deutlich hörbar. Es war nur nicht ganz klar, woher es kam. Es hatte jene merkwürdige Eigenschaft mancher Geräusche, scheinbar aus allen Richtungen gleichzeitig zu kommen.
»Mir gefällt das nicht«, murmelte Alfred.
Aber Angie war bereits von ihrem Pferd gestiegen und lief auf die zweite Dienstfrau zu. Sie faßte die Leiche an den Schultern, rollte sie zur Seite und drehte sie auf den Rücken, so daß das Gesicht eines Mädchens sichtbar wurde, das nicht älter als vielleicht fünfzehn Jahre gewesen war, unter dessen Kleid sich aber bereits üppige Brüste abzeichneten - trotz der dicken Kleidung, die sie für diese winterliche Reise getragen hatte.
Ohne sich um das tote Mädchen zu kümmern, riß Angie ein Bündel an sich, welches das Mädchen mit ihrem Körper bedeckt hatte - beinahe so, als hätte sie es beschützen wollen. Und in diesem Augenblick hörte man das Piepsen abermals und deutlicher als zuvor, so daß es sofort als der Schrei eines Babys zu erkennen war.
»Ein Baby!« rief Geronde. Sie riß die Zügel von Angies Pferd an sich und führte es die wenigen Schritte zu Angie hinüber, die etwas in den Armen hielt, das immer noch stark nach einem Bündel aussah, in dem ein Brett steckte.
»Steigt auf, Angela! Auf dem Boden seid Ihr in Gefahr!«
»Nicht solange ich hier bin«, erklang die rauhe Stimme Araghs, der Angie, Geronde und den beiden Pferden gefolgt war. Geronde drehte sich zu ihm um.
»Ihr habt die ganze Zeit gewußt, daß es hier war!« rief sie. »Warum habt Ihr es uns nicht gesagt?«
»Ich wollte sehen, wie lange Ihr brauchen würdet, um es selbst zu finden«, erwiderte Aragh. Sein Maul hatte sich zu einem lautlosen, wölfischen Lachen geöffnet. »Aber ich hätte nicht gewartet, bis das Junge gestorben wäre. Ja wirklich, ich hätte sogar die Frau gerettet, die es bei sich trug, denn sie hat versucht, es mit ihrem Körper zu schützen.«
»Gib mir das Kind, Angela«, sagte Geronde befehlend, denn Angie versuchte auf ihr Pferd zu steigen, ohne das Baby loszulassen, das sie in den Armen hielt.
Widerstrebend reichte Angie das Baby an Geronde weiter, die es festhielt, bis Angie sich in den Sattel geschwungen hatte und es augenblicklich wieder an sich nahm.
»Habt Ihr das gehört?« fragte Angela. »Sie hat versucht, ihr Baby mit ihrem eigenen Leben zu schützen -und sie haben sie trotzdem getötet!«
»Sie war eine Amme, nicht mehr!« widersprach Geronde beinahe ungeduldig. »Seht doch, das Kind ist in feinstes Tuch gewickelt - feines Tuch wie das, aus dem die Kleider seiner toten Eltern gemacht sind. Das Mädchen war nur eine Amme. Seht Euch doch ihre Kleider an!«
Aber Angie hörte nicht zu. Sie wiegte das Kind in den Armen, obwohl das Brett, das man ihm auf den Rücken gebunden hatte, ziemlich sperrig war. Das Kind hatte eine Weile im Schnee gelegen - aber dennoch gluckste es Angie durch den schmalen Schlitz in den Tüchern, die über seinem Gesicht zusammengeschlagen waren und es fast verbargen, fröhlich an. Aber nach einigen Augenblicken schwand die Fröhlichkeit dahin, und ein jämmerliches kleines Weinen ertönte.
»Es hat bestimmt Hunger!« sagte Angie.
»Nun, wir haben keine Ammen bei uns!« erwiderte Geronde entschieden. »Aber ich habe etwas feinen Zucker bei mir. Den können wir in ein wenig Wasser auflösen, dann tunken wir den Zipfel eines Tuchs hinein und lassen das Kind daran saugen.«
»Das Wasser muß zuerst
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