Drachenritter 05 - Der Drache, der Graf und der Troll
beträchtlichem Scharfsinn. Jim war sich überdies der Tatsache bewußt, daß Chandos im Laufe ihrer Bekanntschaft noch nichts gesagt oder getan hatte, was über die üblichen Artigkeiten Angie gegenüber hinausgegangen wäre.
Aber Sir John war unleugbar gutaussehend und beeindruckend dank seiner zusätzlichen Jahre, seiner Intelligenz und seiner Stellung im unmittelbaren Umfeld des Throns. Irgendwie hatte Angie in ihm einen Mann gefunden, mit dem sie gern zusammen war und mit dem sie sich gerne unterhielt. Daran gab es nichts auszusetzen, wäre da nicht die unbehagliche Tatsache gewesen, daß Sir Johns Benehmen auch die übliche Einleitung zu dem Spiel der Verführung war, das in der Maske höfischer Artigkeiten ausgetragen wurde. Es war nicht auffällig genug, um zügellos genannt zu werden, und wurde bei Zusammenkünften wie dieser gern gespielt. Besonders die Weihnachtsgesellschaft des Grafen war in dieser Hinsicht berühmt, genauso wie sie für ihre Speisen, ihre Turniere und Geselligkeiten berühmt war.
Aber all das waren Dinge, über die Jim sich später den Kopf zerbrechen konnte, nicht jetzt.
Jim warf noch einen schnellen Blick in die Runde. Niemand sah ihn an.
Leise erhob er sich und ging in eine Richtung davon, die darauf schließen lassen konnte, daß er lediglich den Abort der Burg aufsuchen wollte. Dieselbe Richtung würde ihn jedoch auch zu der Treppe des großen Turms und auf direktem Wege zu den Räumen führen, die er mit Angie teilte.
Kurz bevor er den Saal verließ, änderte sich der Geräuschpegel. Alle Instrumente bis auf die irische Harfe waren verstummt, und die volltönenden, traurigen Klänge ihrer Saiten begannen sich herrlich klagend über das Geräusch der allgemeinen Unterhaltung zu erheben.
»Verdammt!« entfuhr es Jim. »Ausgerechnet jetzt!« Nachdem er die Musik bedauernd hinter sich gelassen hatte, eilte er den Flur hinunter und der Treppe entgegen.
9
»Hier scheint doch alles in Ordnung zu sein«, bemerkte Jim.
Er war wieder oben in dem äußeren Raum ihrer beiden Gemächer. Sie hatten die Tür verriegelt, und die Amme wieselte ängstlich um ihn herum, während der kleine Robert im Nebenzimmer friedlich schlief, nachdem er einmal kräftig die Ärmchen und Beinchen gereckt und sich seiner Bewegungsfreiheit erfreut hatte.
Vor einigen Stunden hatte Angie die Amme Stillschweigen schwören lassen - und das halbwüchsige Mädchen so furchtbar erschreckt, daß es nun zu glauben schien, man hätte ihm ein Krongeheimnis anvertraut. Dann hatte sie Robert, sobald sie in ihrem Zimmer waren, von dem langen Windelstreifen befreit, der ihn fest an das Holz an seinem Rücken band - ein kurzes Brett mit einem Loch in der Nähe des Kopfendes, damit seine Amme ihn bequem an einen Haken hängen konnte, wenn sie anderweitig beschäftigt war. Angie hatte jedoch sogleich mit einigem Ingrimm verkündet, daß Babys Platz brauchten, um sich zu bewegen; und daß von nun an sie, Angie, darüber befinden würde, wie man mit Robert umzugehen habe.
Überdies hatte sie Jim veranlaßt, einem ihrer Bewaffneten den Auftrag zu geben, insgeheim eine Art Wiege zu bauen, in der das Baby die notwendige Bewegungsfreiheit haben würde.
»Nein, an dem Ding ist nichts Gefährliches«, wiederholte Jim nun, während er den Ring in den Fingern drehte.
Der Ring war ein schlichter Goldreif, passend für den Finger einer Frau, mit abgeflachter Oberseite, auf der das Wappen der Falons eingraviert war. Ein Siegelring, dazu gedacht, daß man ihn in heißes Wachs preßte, um einen Brief oder ein anderes Dokument zu versiegeln und gleichzeitig Zeugnis für den Rang und die Identität des Absenders abzulegen.
Und wirklich, er sah völlig harmlos aus. Jim mußte sich natürlich darauf beschränken, den Ring mit nicht magischen Mitteln zu untersuchen, da der Bischof die Burg gesegnet hatte und keine neue Magie ermöglichen würde, solange er hier weilte. Der einzige Test, den er hatte durchführen können, um einen möglichen Zauber zu ermitteln, war das Ergebnis einer nicht lange zurückliegenden Unterredung mit Carolinus. Sein alter Lehrer hatte davon gesprochen, daß ein erfahrener Magier anhand eines Kribbelns in den Fingern in der Lage sein sollte, zu spüren, ob ein bestimmter Gegenstand mit Magie behaftet sei oder nicht.
Jim verspürte kein Kribbeln in den Fingern, als er den Ring zur Hand nahm. Andererseits war nicht auszuschließen, daß er als Magier nicht über genügend Erfahrung verfügte, um einen
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