Drachenritter 05 - Der Drache, der Graf und der Troll
nachdenklich. Er erinnerte sich an all die Ausschmückungen, die die Balladendichter seinen Taten am Verhaßten Turm hinzugefügt hatten.
»Aber du weißt doch, wie Kinder sind, wenn man ihnen eine Geschichte erzählt?« fragte Angie. »Sie leben geradezu in der Geschichte. Wenn man ihnen von etwas Beängstigendem erzählt, bekommen sie wirklich Angst. Wenn man ihnen von etwas erzählt, das gut schmeckt, kann man förmlich sehen, wie ihnen das Wasser im Mund zusammenläuft. Wenn man ihnen von einer Burg erzählt, ist die Burg da. Nun, genauso war es bei dieser Aufführung.«
»Wirklich?« Jims Interesse war trotz all seiner anderen Sorgen geweckt.
»Absolut«, versicherte ihm Angie. »Ich hätte es selbst nicht geglaubt, wenn ich es nicht gesehen hätte. Aber ich schwöre dir, die meisten Männer konnten sich kaum bezähmen, nicht von ihren Stühlen aufzuspringen und mit den Schauspielern zu kämpfen. Und die Frauen waren genauso hingerissen. Und mehr als das -du weißt doch, wer alles an der hohen Tafel saß? Der Graf und der Bischof, Chandos und alle anderen? Sie sind genauso mitgegangen wie die Leute an den beiden langen Tischen.«
»Kein Wunder, daß Brian die Aufführung nicht verpassen wollte«, sagte Jim. »Weißt du, mir war nicht klar, um welches Vergnügen ich ihn da beinahe gebracht hätte. Ich habe ein ziemlich schlechtes Gewissen wegen der ganzen Angelegenheit - ich hatte wirklich nicht geplant, daß er eine Vision haben sollte ...«
»Ich weiß«, sagte Angie. »Es war der Bischof, der ihm und allen anderen diese Idee in den Kopf gesetzt hat. Aber der Graf, der Bischof, Chandos - alle waren von dieser scheinbaren Schlacht gefesselt wie die Kinder!«
»Nun, ich werde dafür sorgen, daß ich die nächste Aufführung nicht verpasse. Wann soll denn wieder eine stattfinden?«
»Das ist es ja«, sagte Angie. »Es stehen noch zwei weitere auf dem Programm, aber im Vergleich zu der Schlacht bei Sluys handelt es sich wohl nur um ziemlich kleine Angelegenheiten. Die Aufführung der Schlacht war etwas Besonderes, weil heute der erste Weihnachtsfeiertag war. Aber Jim, die Sache hat mich auf eine wunderbare Idee gebracht. Warum fuhren wir nicht ein Stück für sie auf?«
»Ein Stück?« Nach all den anderen Dingen, die ihm in letzter Zeit widerfahren waren, hatte Jim ernsthafte Mühe, Angie zu folgen. »Wir? Warum?«
»Ja, verstehst du denn nicht?« rief Angie. »Alle in der Burg werden dort sein, sogar die Diener. Sie haben sich, während die Schlacht bei Sluys aufgeführt wurde, in sämtlichen Eingängen des Rittersaals zusammengedrängt, und niemand hat sie weggejagt, nicht einmal die älteren Diener, weil die das Stück ebenfalls verfolgt haben. Wenn alle an einem Ort sind, könntest du deinen Troll heraufholen und ihn ein wenig herumschnuppern lassen und - vielleicht könntest du ihn unsichtbar machen oder so etwas ...«
»Vergiß nicht«, sagte Jim, »der Bischof hat die Burg gesegnet...«
»Ach ja. Nun, ich bin mir sicher, irgend etwas läßt sich da machen«, sagte Angie. »Diese Aufführungen sind aber die einzige Möglichkeit, um alle zusammenzubekommen, so daß du deinen Troll ohne Gefahr nach oben bringen kannst, ohne daß irgend jemand ihn sehen würde. Denk darüber nach, Jim. Ist die Idee nicht großartig?«
Sie sah Jim erwartungsvoll an.
»Ich denke nach«, sagte Jim.
»Ich habe mir überlegt, daß wir vielleicht die Krippenszene nachstellen könnten. Du weißt schon, das Christuskind in der Krippe.«
»Ja, ich denke schon«, erwiderte Jim wenig überzeugt.
»Weißt du«, sagte Angie, »wir könnten einen Unterstand bauen, der ein wenig wie ein Stall aussieht; und ich wette, wir bekommen einen richtigen Ochsen und einen Esel - und natürlich Maria und Josef; und echtes Stroh für den Boden und die Hirten und die drei Könige mit ihren Geschenken...«
»Ich bin mir nicht sicher, ob die drei Weisen und die Schafhirten zur selben Zeit gekommen sind«, wandte Jim ein. »Es wäre allerdings zu machen. Bloß verfügt die Szene nicht gerade über viel Handlung.«
»Nun, etwas Handlung können wir wohl erfinden, oder?« sagte Angie. Jim sah, wie die Wolken der Enttäuschung sich auf Angies Stirn zusammenballten.
»Ich habe überhaupt nichts gegen deine Idee«, versicherte er ihr hastig. »Nein wirklich, es ist eine hervorragende Idee; mir machen bloß die Details zu schaffen. Zum einen ist heute der erste Weihnachtstag, und so etwas müßte eigentlich am Weinnachtstag aufgeführt werden,
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