Drachenritter 05 - Der Drache, der Graf und der Troll
Nein wirklich, heute ist der erste Weihnachtstag, und Ihr sitzt abseits von allen anderen hier oben? Angela, ich weiß, daß Ihr hier bei dem Waisenkind gewisse Pflichten verseht, aber Ihr solltet auch mitkommen.«
»Später vielleicht«, entgegnete Angie.
»Würdet Ihr es mir verzeihen, wenn ich nicht mit Euch käme?« fragte Jim müde. »Vergebt mir, Brian. Ich werde Euch alles erzählen, wenn ich mich ausgeruht habe. Aber ich habe einen langen Tag hinter mir, und ich habe große Strecken zurückgelegt, auf magischen und anderen Wegen. Ich brauche jetzt einfach etwas Schlaf.«
»Am Abend des ersten Weihnachtstages?« fragte Brian entgeistert. »Wenn es überhaupt einen Abend gibt, den man nicht mit Schlafen verschwenden sollte...«
Er brach jedoch ab und sah Jim an.
»Aber Ihr seht wirklich müde aus, James«, sagte er ein wenig milder. »Fürchtet nichts. Ich werde allen anderen erklären, daß Ihr weit gehen mußtet, um Carolinus zu suchen, daß Ihr ihn aber gefunden hättet und Euch jetzt ausruht. Wir werden morgen weiter reden. Ihr habt es doch sicher nicht vergessen? Morgen gehen wir auf die Falkenjagd - natürlich in kleinen Trupps, ansonsten werden sich mehr Falken auf ein einziges Opfer stürzen, als das jemals an irgendeinem Ort in der Christenheit geschehen ist. Ihr dürft auch nicht fehlen, Angela. Die Falkenjagd ist auch für die Frauen ein Vergnügen - aber ich hatte vergessen, Ihr habt keinen eigenen Vogel. Vielleicht wird Euch der Graf einen borgen.«
»Ich kann nichts versprechen, Brian«, sagte Angie energisch. »Aber vielleicht komme ich. Laßt mich selbst mit dem Grafen reden, wenn ich mir einen Falken leihen muß. Ansonsten reite ich einfach nur mit, um bei den anderen zu sein.«
»Das walte Gott!« sagte Brian. »Und es wäre die Sache gewiß wert, vor allem an einem hellen, frostklaren Morgen, mit dem wir morgen wohl rechnen dürfen, jetzt, da der Wind die Wolken weggeblasen hat. Nun denn, ich werde Euch beide jetzt allein lassen, in den Saal zurückkehren und Euch bei den anderen entschuldigen. Hm ... Da bleibt mir nur noch, Euch eine gute Nacht zu wünschen!«
Er wandte sich der Tür zu.
»Gute Nacht«, sagten Jim und Angie beinahe gleichzeitig.
17
»Wo bin ich?« fragte Jim.
Aber er lag natürlich auf seiner Matratze, die sie aus Malencontri mitgebracht hatten, in dem äußeren der beiden ihnen zugewiesenen Räume. Soweit er sich erinnern konnte, hatte er die ganze Nacht wie ein Stein geschlafen und war nicht ein einziges Mal aufgewacht. Helles Tageslicht fiel durch die schmale Schießscharte der Außenwand, ihr einziges Fenster.
Jim bekam die Augen endlich ganz auf und sah, daß seine Kleider neben ihm lagen. Er hatte es behaglich warm unter den Decken, die sich über ihm auftürmten, aber trotz des Feuers in der Schlafkammer konnte man die Luft im Zimmer, die sich durch den offenen Fensterschlitz erneuerte, nicht gerade lau nennen.
Er griff nach den Kleidungsstücken und streifte sich eines nach dem anderen über, während er noch immer die Behaglichkeit des warmen Nestes genoß, in dem er geschlafen hatte. Als er endlich angekleidet war, warf er die Decken ab und setzte sich auf. Plötzlich wurde ihm klar, daß er Hunger und Durst hatte. Vor allem Durst.
Automatisch blickte er auf den kleinen Tisch, der nur einige Fuß von seiner Lagerstatt entfernt stand. Darauf befand sich eine der ledernen Flaschen, die sie bei ihren Ritten an den Sattelknäufen trugen. Auf der Flasche stand, von Angie in Blockbuchstaben mit wasserfester Tinte geschrieben: >Abgekochtes Wasser<. An der Flasche lehnte eine Notiz in ihrer Handschrift auf einem Stückchen des kostbaren Papiers, das Jim aus Frankreich mitgebracht hatte. Zum Schreiben hatte Angie ein Stückchen Kohle benutzt.
Jim füllte ein Glas mit Wasser aus der Lederflasche, leerte es, füllte es abermals, leerte es wieder und trank, nachdem er sich einen Augenblick besonnen hatte, noch ein ganzes weiteres Glas.
Augenblicklich fühlte er sich bedeutend besser.
Er las Angies Notiz. Sie hatte sie in ihrer modernen Handschrift verfaßt, so daß sie für keinen mittelalterlichen Leser zu entziffern war, auch wenn die Worte fein säuberlich geschrieben waren.
>Brot und Käse auf dem Tisch<, stand auf dem Papier, >wenn Du rechtzeitig auf bist, möchtest Du Dir vielleicht ein Pferd nehmen und zur Falkenjagd ausreiten. Niemand wird etwas anderes denken, als daß Du den größten Teil des Vormittags von einer Gruppe zur anderen
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