Drachenritter 06 - Der Drache und der Dschinn
die er unter dem Kettenhemd trug; und da die Weste mit dem Kettenhemd vernäht war, merkte hoffentlich niemand, wie schwer sie war.
Nach englischen Maßstäben eine erkleckliche Summe. Was aber bedeutete sie für jemanden wie Murad, der - dem Haus, den Bediensteten und der unterwürfigen Haltung Ibn-Tariqs nach zu schließen - ein vermögender Mann war? Selbst wenn Brians Goldstücke zusammen mit Jims Geldreserve ausreichen sollten, Sir Geoffrey freizukaufen, so würden sie in dieser Stadt auf keinerlei Unterstützung rechnen können.
Womit sollten sie beispielsweise die Kosten der Heimreise bestreiten? Wie sollten sie überhaupt erst einmal von Palmyra nach Tripolis zurückgelangen, wo Brian möglicherweise irgendwelche Engländer auftreiben würde, die ihnen das nötige Geld leihen würden? Nach allem, was er bislang von diesem Land gesehen hatte, gab man Fremden nicht leichtfertig Kredit.
Dann waren da noch Ibn-Tariq und Baiju. Die Tatsache, daß sie beide mit der Karawane gereist waren, erklärte sich im nachhinein daraus, daß sie anscheinend irgendwelche politischen Ziele verfolgten, die mit der Goldenen Horde, welche von Norden in den Libanon vordrang, und mit deren Haltung gegenüber den Mamelucken oder dem ägyptischen Kalifat zu tun hatten - vielleicht waren diese aber auch ein und dasselbe, und Ibn-Tariq repräsentierte beide.
Es war nicht auszuschließen, daß Ibn-Tariq und Baiju für die Freilassung von Sir Geoffrey ihren eigenen Preis festsetzen würden. Baiju hatte ihnen die Kamele bestimmt nicht nur deshalb zur Verfügung gestellt und sie so rasch von der Assassinenfestung in die Stadt gebracht, weil er ein so großes Herz hatte.
Ebensowenig handelte Ibn-Tariq aus reiner Selbstlosigkeit heraus, ganz gleich wie oft er das Wort >Freunde< im Munde führen mochte. Hatte Ibn-Tariq vielleicht von Anfang an gewußt, daß sie nach Sir Geoffrey suchten? Wenn ja, woher wußte er es? Und hatte er sie womöglich zu Gerondes Vater geführt, um anschließend einen Preis dafür verlangen zu können?
Womöglich hatte er sich der Karawane angeschlossen, um Jim nach Informationen auszuquetschen. Nachdem ihm dies nicht gelungen war, mochte er mit Hassan ad-Dimri vereinbart haben, daß dieser Brian und Jim entführte und in den Weißen Palast brachte.
Wie aber hatte er ihre Flucht voraussehen können?
Baiju, der Mongole, hatte behauptet, er habe von Abu al-Qusayr erfahren, wo, an welchem Tag und zu welcher Stunde er auf Jim und Brian warten solle. Das legte einen bestimmten Schluß nahe, nämlich daß Abu al-Qusayr bereits im voraus gewußt hatte, daß man sie in den Weißen Palast bringen und daß sie durch den Tunnel entwischen würden. Wenn das stimmte, so mochte er Baiju gebeten haben, Jim zu helfen. So jedenfalls wäre Carolinus vorgegangen ...
Jim schwirrte der Kopf. Ich will nicht weiter darüber nachdenken, beschloß er, und später darauf zurückkommen.
Bei seinem Umherwandern hatte er unbewußt die Wände inspiziert. Mit Ausnahme der Tür gab es keine Öffnungen darin. Es gab nicht einmal Fenster; für die Beleuchtung sorgten mehrere Fackeln an den Wänden, die für ihre Größe allerdings ein erstaunlich helles Licht spendeten. Jim fuhr im Vorbeigehen mit der Hand über die Wände, um festzustellen, ob sie irgendwelche Besonderheiten aufwiesen.
Er untersuchte gerade die rückwärtige Wand, als er eine senkrechte Fuge ertastete, die fast unsichtbare Nahtstelle zwischen zwei sorgfältig aneinandergefügten Mauersteinen. Er blieb stehen und fuhr mit den Fingern darüber, wobei er feststellte, daß die Fuge vom Boden bis über Kopfhöhe reichte.
Jetzt, da er wußte, wonach er suchte, sah er, daß die Fuge am höchsten Punkt waagerecht abknickte und bis zu einer weiteren Fuge führte, die bis zum Boden reichte. Die Umrisse der Geheimtür waren schwer zu erkennen, weil diese Wand wie auch die der anderen Räume, in denen er und Brian sich mit Ibn-Tariq und Murad unterhalten hatten, mit quadratischen Platten polierten Marmors verkleidet waren, deren senkrecht und horizontal verlaufenden Fugen die Nahtstellen verbergen halfen, die er soeben entdeckt hatte.
Die Geheimtür zu finden, war eine Sache. Sie zu öffnen würde sich möglicherweise als schwieriger erweisen. Er drückte gegen die Marmorplatten auf der Tür und fuhr mit der Hand die Seitenfugen hinauf und hinunter.
Er war sich nicht sicher, wann er die Stelle berührte, welche die Tür öffnete, doch auf einmal rückte der Mauerstein vor ihm eine
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