Drachenritter 06 - Der Drache und der Dschinn
nicht Sir Geoffrey sein.«
Geronde steckte den Dolch widerwillig durch einen Schlitz im Stoff hinter den Gürtel, der das weite Gewand in der Taille raffte. Jim wandte sich wieder dem Mann zu.
»Nun?« fragte er. »Seid Ihr Sir Geoffrey, oder seid Ihr es nicht?«
»Ich bin Sir Geoffrey!« entgegnete der Mann, und Geronde schnaubte. »Meine Tochter ist bloß ...« Seine Stimme wurde immer leiser und verstummte dann ganz. Er sah zu Boden. »Was nützt es schon?« sagte er tonlos. »Die vergangenen zwölf Jahre über habe ich tagtäglich mit dem Tod gerechnet. Jetzt wird er mich ereilen, so oder so. Es ist mir gleich.«
»Wer hat Euch die Dinge erzählt, die nur Sir Geoffrey wissen kann?«
»Das war Murad vom Schweren Säckel«, antwortete der Mann. Plötzlich hob er den Kopf und blickte Jim mit versteinerter Miene an. »Ich war einmal ein Ritter. Sir Renel de Oust. Ich war einmal ein Ritter und ein Mann. Aber nach zwölfjährigem Sklavendasein ist nichts mehr davon geblieben.«
»Um Himmels willen, Geronde!« sagte Angela zu Geronde, die Sir Renel noch immer anfunkelte. »Habt ein wenig Mitleid mit dem Mann. Das war für ihn wahrscheinlich die einzige Möglichkeit zur Flucht...«
Sie wandte sich an Jim.
»Woher weiß dieser Kerl das alles?« fragte sie. »Vielleicht hält er Sir Geoffrey hier irgendwo versteckt.«
»Darauf kann ich Euch antworten«, sagte Sir Renel so tonlos wie zuvor. »Ich lebe jetzt seit drei Jahren hier als Sklave. Und bei der Ehre des Mannes, der ich einst war, versichere ich Euch, daß es hier keinen anderen Edelmann gibt.«
Jims Verstand, der seit ihrer Festnahme in der Karawanserei nur halbherzig in ihren Nöten herumgestochert hatte, legte auf einmal einen höheren Gang ein und begann mit vollkommener Klarheit zu arbeiten. Dies hatte er schon des öfteren erlebt, in großen wie in kleinen Krisen. Am ehesten war es mit der plötzlichen Klarheit zu vergleichen, die sich bei einer drohenden Gefahr einstellte, wenn Körper und Geist von einem Moment zum anderen hellwach wurden.
Er erinnerte sich, daß ihm dies als Student einmal während einer kritischen Abschlußprüfung geschehen war. Während der ersten Hälfte der zur Verfügung stehenden Zeit war er an jeder Aufgabe gescheitert. Er hatte das Gefühl gehabt, er stünde vor einer massiven Mauer, in der er niemals einen Durchschlupf finden würde. Dann wachte er auf einmal auf, und die Mauer löste sich auf. Plötzlich stand ihm sein ganzes Wissen, alles, was er in den Monaten zuvor im Unterricht in sich aufgenommen hatte, wieder zur Verfügung, und als er sich erneut den ersten Prüfungsaufgaben zuwandte, stellte er fest, daß sie kinderleicht waren - die Lösung lag auf der Hand. So erging es ihm auch jetzt wieder.
»Kob«, sagte er.
»Ja, Mylord«, antwortete Kob.
Die beiden Kobolde, die auf ihren Rauchschwaden wundersamerweise mitten im Raum schwebten, waren nahezu identisch. Der so ziemlich einzige Unterschied zwischen ihnen war, daß Kob munter dreinschaute und stolz aufgerichtet auf seinem Schwaden saß, während der Kobold der Malvernburg nicht nur etwas magerer war, sondern zusammengesunken in einer kleinen grauen Wolke hockte, als wäre er am liebsten unbemerkt geblieben.
»Wärst du so nett, mich deinem Freund vorzustellen?« bat Jim.
»Das ist Kob von der Malvernburg, Mylord.«
Kob von der Malvernburg sackte noch mehr in sich zusammen.
»Ich verstehe«, sagte Jim. »Wärt ihr so nett, in den Garten hinauszugehen? Dort ist ein Springbrunnen. Seht mal, ob ihr mir etwas Wasser herbringen könnt. Weißt du, wie groß ein Suppenteller ist?«
»Natürlich, Mylord. Ihr möchtet, daß wir Euch Wasser in einem Suppenteller bringen. Ich glaube aber nicht, daß es im Garten Suppenteller gibt«, entgegnete Kob.
»Nicht in einem Suppenteller«, sagte Jim, »sondern in einem Gefäß, das etwa so viel Wasser wie ein Suppenteller faßt.«
»Ach, das ist nicht schwer«, meinte Kob.
Er wirbelte auf seinem Rauchschwaden herum, Kob von Malvern folgte ihm, und beide verschwanden durch den Vorhang in Richtung Garten.
»Wozu brauchst du das Wasser, Jim?« fragte Angie. »Oder seid ihr beide etwa durstig?«
»Nein, das nicht...«, setzte Jim an. Ehe er den Satz jedoch beenden konnte, waren die Kobolde schon wieder zurückgekehrt, und Kob reichte ihm das gewünschte Wasser - in einem schüsseiförmigen Rauchschwaden.
Jim starrte das Gebilde entgeistert an, dann faßte er sich wieder.
»Stell es auf den Boden, Kob«, sagte er. Eine
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