Drachenritter 06 - Der Drache und der Dschinn
aus?«
»Als ich ihn vor Jahren zum letzten Mal sah«, antwortete Brian, »war er ein Mann von gerader Haltung und etwas größer als ich, jedoch nicht so groß wie Sir James. Er hatte schwarzes Haar, das anfing grau zu werden, einen kleinen Schnurrbart, eine hohe, gebogene Nase und ein spitz zulaufendes Kinn. Ein vernarbtes und recht kleines Kinn, während er ansonsten eher grobknochig war.«
»Ich werde veranlassen, daß man nach ihm sucht«, sagte Murad. »Ich unterhalte mit allen möglichen Leuten persönliche und geschäftliche Beziehungen, so daß die Suche sicherlich zum Erfolg führen wird.«
»Sind die Wege Allahs nicht wundersam, Murad, mein Freund?« fragte Ibn-Tariq. »So benötigen die Emire des Kalifats von ganz Ägypten Informationen, über die ausgerechnet diese Franken verfügen, die es wiederum zu Euch geführt hat, der ihr am ehesten in der Lage seid, den vermißten Franken ausfindig zu machen.«
»So ist es«, sagte Murad. Hinter ihm tauchte auf einmal ein kleiner brauner Hund auf, der sich neben dem Kissen niederließ, auf dem Murad saß, und Tim direkt ansah. »Die Wunder Allahs entziehen sich menschlichem Begreifen.«
»Aber vielleicht lassen sich einige der Wunder ja erahnen«, meinte Ibn-Tariq. »Ägypten ist der rechtmäßige Ursprung und Quell eines mächtigen Reiches, und das ist seine Bestimmung. Das Kalifat mit seinen zahlreichen Emiren handelt allerdings nicht immer so rasch, wie es eigentlich sollte. Vielleicht ist nun die Zeit reif für einen Mann wie Sala-ad-Din, möge Allah ihn auf ewig in den Armen halten - übrigens ein Kurde wie Ihr, Murad. Er ist ein großer Weiser von grenzenlosem Wagemut, der uns in sein neues Reich führen wird.«
»Ja, gesegnet sei der Name Sala-ad-Dins«, erwiderte Murad. »Der Gedanke gefällt mir, daß jemand wie er sich erheben und daß es sich dabei um einen Kurden handeln könnte. Doch wir sollten die Dinge nicht überstürzen.«
Während die beiden Männer blumige Reden schwangen, beobachtete Tim den braunen Hund, und dieser erwiderte seinen Blick. Es war eine absurde Situation.
Obwohl er sich sicher war, daß es sich bei dem Hund um keinen anderen als Kelb handelte, konnte er ihn schlecht fragen, was er hier zu suchen habe. Ebensowenig konnte er zu ihm sagen, daß er verschwinden solle. In den gelben Augen des Hundes, die ihn unverwandt musterten, lag eine unerträgliche Arroganz.
Wenn es sich um Kelb handelte, in welcher Beziehung stand er dann zu Murad? Als Jim darüber nachsann, wurde ihm klar, daß es unzählige Antworten auf diese Frage gab.
Er beschloß, sich nicht weiter den Kopf zu zerbrechen. Im Moment hatte es keinen Sinn, seine Vorstellungskraft zu strapazieren. Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder Murad und Ibn-Tariq zu, die immer noch Komplimente wechselten.
»Wenn Sala-ad-Din wieder unter uns weilte«, bemerkte Murad soeben, »täte er gut daran, Euch zu seinem Wesir zu ernennen, Ibn-Tariq...« Der Rest der wortreichen Schmeichelei bekam Jim nicht mehr mit, denn Brian grub Zeige- und Mittelfinger in seinen Ellbogen, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
Brian hatte einen eisenharten Griff, der sich nur schwer mißachten ließ; gleichwohl warf Jim ihm nur einen Seitenblick zu, was ausreichte, um zu erkennen, daß Brian ebenfalls so tat, als lauschte er der Unterhaltung zwischen Ibn-Tariq und Murad. Allerdings war er näher an Jim herangerückt, so daß er ihm unauffällig etwas zuflüstern konnte.
»James!« sagte er. »Der Bedienstete, der gerade zur Tür geht. Seht ihn Euch rasch an.«
Ohne den Kopf zu wenden, schaute Jim zur Tür und erhaschte einen Blick auf einen recht großgewachsenen, aber gebeugten und geradezu ausgemergelt wirkenden Mann mit grauem Haar, der soeben durch den Durchgang trat. Im nächsten Moment schloß sich hinter ihm der Vorhang.
»Sir Geoffrey! Gerondes Vater!« murmelte Brian. »James, ich bin sicher, er war es!«
Jim dachte rasch nach.
»Wir müssen uns gedulden, bis er zurückkommt, Brian«, flüsterte er.
»Aber vielleicht kommt er nicht wieder!« meinte Brian drängend.
Das war allerdings möglich. Murad schien so viele Bedienstete zu haben wie eine Königin. Jim schwirrte der Kopf.
»Geduldet Euch solange, bis sich mir eine Gelegenheit bietet, in die Unterhaltung einzugreifen«, sagte er zu Brian, worauf er sich entschlossen wieder auf Tariq und Murad konzentrierte.
Deren Unterhaltung hatte sich mittlerweile den Sunniten und Schiiten zugewandt - den beiden Hauptsekten des
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