Drachenruf
er sich auf den einzigen Stuhl mit hoher Lehne neben dem Sandkasten. Da es sie nicht zum Platznehmen aufforderte, blieb sie stehen.
»Nun nenne mir mal die Noten eines C-Dur-Akkords!«
Sie tat es. Er sah sie einen Moment lang starr an und begann dann wieder zu schielen.
»Welche Noten umfasst eine Quint in C-Dur?«
Als sie auch darauf geantwortet hatte, begann er, neue Fragen abzufeuern, gereizt, wenn sie nur Sekundenbruchteile mit der Antwort zögerte. Aber Petiron hatte sie zu oft in ähnlicher Weise gedrillt. Morshais überhebliche Miene machte sie nervös, doch als seine Fragen schwerer und schwerer wurden, merkte sie plötzlich, dass er Beispiele aus verschiedenen traditionellen Sagen und Balladen wählte. Da sie ein gutes Gedächtnis besaß, kannte sie die meisten Stellen auswendig und konnte sie herunterschnurren.
Mit einem Mal räusperte er sich, winkte ab und wollte wissen, ob sie die Trommel schlagen könne. Als sie bejahte, stellte er eine Menge zermürbender Fragen über die einzelnen Zeit- und Schlagfolgen. Sie hätte ihm das alles viel leichter zeigen als erklären können, aber dazu gab er ihr keine Gelegenheit.
»Halt dich still, Mädchen!«, knurrte er, als sie ihre schmerzenden Sohlen bewegte. »Schultern zurück, Füße nebeneinander, Kopf hoch!« Er hörte ein leises Zischen, aber da er Menolly die ganze Zeit über wütend anstarrte, stand eindeutig fest, dass sie den Mund nicht aufgetan hatte. Er blickte umher, um den Ursprung der Störung zu suchen. Inzwischen beruhigte Menolly heimlich Prinzesschen. »Steh nicht so krumm da! Was hatte ich gefragt?«
Sie wiederholte es und er setzte sein Kreuzverhör fort. Je rascher sie antwortete, desto rascher prasselten die Fragen auf sie ein. Ihre Sohlen schmerzten so sehr, dass sie ihn einfach bitten musste, ihr eine kleine Ruhepause zu gönnen. Doch ehe sie dazu kam, deutete Morshai zu ihrer Verblüffung auf einen Hocker. Sie zögerte.
»Los, los, setz dich!«, fauchte er. »Nun wollen wir mal sehen, ob du auch schreiben kannst, was du so glatt herunterleierst!«
Also waren ihre Antworten richtig gewesen, und er ärgerte sich, weil sie so viel wusste. Ihre Niedergeschlagenheit wich, und als Meister Morshai diktierte, zog sie den Stab mit flinken Strichen durch den Sand. In ihrem Innern hörte sie eine andere, sanftere Stimme; die Übung war plötzlich ein Spiel und kein Verhör durch einen befangenen Richter.
»Geh zur Seite, damit ich sehen kann, was du geschrieben hast!«
Er warf einen Blick auf den Sandkasten, presste die Lippen zusammen und räusperte sich. Dann befahl er ihr, die Fläche wieder glattzustreichen, und begann mit schwierigeren Aufgaben. Aber nach den ersten Takten erkannte sie den »Rätsel-Gesang«, und sie war froh, dass Petiron ihr die düstere Melodie so gründlich beigebracht hatte.
»Das reicht!« Meister Morshai zerrte seinen Umhang fester um die Schultern. »Hast du ein Instrument?«
»Ja, Meister.«
»Dann hol es und bring die Noten da aus dem oberen Regal mit. Beeil dich!«
Menolly stöhnte leise, als sie die ersten Schritte machte. Ihre Knöchel fühlten sich steif und geschwollen an.
»Los, los - du verschwendest meine Zeit!«
Prinzessin zischte warnend, und Menolly merkte, dass auch die anderen Echsen aufgeregt waren. Sie versuchte noch einmal, ihre Schar zu beruhigen.
So rasch sie konnte, kam sie mit der Gitarre und den Noten zurück. Sie erkannte, dass es sich um eine neue Abschrift handeln musste, denn die Häute waren noch weiß, und die Noten ließen sich klar lesen. Mit verkniffenem Mund blätterte Meister Morshai das Material durch.
»Da! Spiel mir das!« Menolly zuckte zusammen, als sie sah, wie nachlässig er ihr die kostbaren Pergamente zuwarf.
Der böse Zufall wollte es, dass er ausgerechnet »Moretas Ritt« gewählt hatte. Sie wusste, dass sie die Begleitgriffe mit der linken Hand niemals schaffen würde.
»Sir, meine...«, begann sie und streckte ihm die Hand entgegen.
»Ich will keine Ausreden hören. Entweder du spielst vom Blatt, oder ich muss annehmen, dass du nicht in der Lage bist, die Traditionsballaden in angemessener Qualität wiederzugeben.«
Menolly fuhr mit den Fingern über die Saiten, um zu hören, ob sie noch richtig gestimmt waren.
»Komm, komm! Wenn du das Zeug lesen und schreiben kannst, wirst du es auch spielen können.«
Eine übertriebene Schlussfolgerung, fand Menolly, aber sie schlug den Anfangsakkord an, und da sie damit rechnete, dass er ihr eine Falle stellen
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