Drachenschwester 01 - Thubans Vermächtnis
verborgen sein konnte. Vielleicht hatte sie sich getäuscht. Aber was war mit der Vision? Was hätte sie für einen Sinn gehabt? » Ich weiß auch nicht weiter …«, murmelte sie niedergeschlagen.
» Hier muss etwas sein. Die Knospe hat doch zu dir gesprochen.«
Mit einem Mal fühlte sich Sofia völlig leer. Die Vision war so eindeutig gewesen, und sie hatte sich völlig darauf verlassen, dass die Knospe sie auserwählt und ihr das Versteck der Frucht offenbart hatte. Aber anscheinend hatte sie sich geirrt oder ihre Botschaft nicht richtig verstanden.
Während Lidja suchend auf und ab ging, hielt Sofia gedankenverloren den Blick weiter auf die schwarz glänzende Platte gerichtet. Dies war alles, was von Thubans Siegel, seiner irdischen Erscheinungsform, übrig geblieben war. Man konnte durchaus behaupten, dass diese Steinplatte das Einzige war, was Nidhoggr in seinem Kerker gefangen hielt. Sie erschauderte. Nur ein Hauch trennte sie von ihrem Erzfeind, dessen Gesicht sie zwar nicht kannte, vor dem sie aber eine wahnsinnige Angst hatte. Plötzlich wurde sie auf ein schwaches Glitzern aufmerksam. Sie richtete die Taschenlampe darauf und sah genauer hin. Es handelte sich um eine Art goldenes Kettchen, das mit etwas im Stein Eingeschlossenem verbunden war. Ohne lange nachzudenken, streckte sie eine Hand aus und griff danach. Mit einem Aufschrei zuckte sie zurück. Die Hitze hatte ihr die Finger verbrannt und es schmerzte fürchterlich.
Lidja war sofort bei ihr. » Was zum Teufel machst du denn da? Der Stein ist doch glühend heiß!«
Sofia biss die Zähne zusammen und richtete erneut die Taschenlampe auf den Stein. » Siehst du das?«, keuchte sie. » Da ist doch was …«
Lidja kam noch näher heran und bemerkte das Kettchen nun auch. Einige Augenblicke lang betrachtete sie es, zog dann den Ärmel ihres Pullis so weit hinunter, dass er ihre Hand vollkommen bedeckte, und streckte sie zu dem Kettchen aus. Schon bei der ersten Berührung begann der Ärmel zu qualmen, doch sie ließ sich nicht abschrecken, sondern zog mit aller Kraft. TLACK, und Lidja landete auf dem Hosenboden, aber in der Hand hielt sie das Kettchen, an dem ein durchsichtiger Anhänger befestigt war.
Lange prüften und betrachteten die beiden Mädchen ihn. Aber nichts tat sich, er rief keine Erinnerung oder dergleichen bei ihnen wach. Es war einfach nur ein Kettchen mit einem Anhänger, offensichtlich aus billigem Glas.
» Vielleicht ist das ja die Frucht …«
» Das glaube ich nicht, das würden wir spüren. Dann würde die Knospe zu uns sprechen, so wie zuvor.«
Sofia konnte ihr nur zustimmen. » Und wenn es nur ein Teil der Frucht ist?«
Lidja zuckte mit den Schultern. » Wer weiß … Ich denke, es bleibt uns nichts anderes übrig, als den Anhänger mitzunehmen und dem Professor zu zeigen. Vielleicht weiß er mehr.«
Sofia fühlte sich plötzlich sehr erleichtert bei dem Gedanken, zu ihrem Vormund zurückzukehren. Sie hatte die Nase voll von dem Schummerlicht in dem verfallenen Tempel und einen dicken Kopf durch diesen Wechsel von der Kälte in der Luftblase zu der Hitze, die der Stein abstrahlte. Zudem war da dieses Gefühl der Bedrohung, das sie nicht mehr losgelassen hatte, seit sie in die Nähe des Tempels gekommen waren. So nickte sie jetzt heftig und stand auf.
Sie hatten den Tempelbereich gerade wieder verlassen, da geschah es: Mit einem Mal erstrahlte der Anhänger, den Lidja sich um den Hals gehängt hatte, so grell, dass beide geblendet waren. Dann bündelte sich das Licht zu einem einzigen Strahl, der in eine bestimmte Richtung deutete.
» Schau dir das an …!«
Hingerissen starrte Sofia auf das Licht. Es war ein Strahl von so unbändiger Kraft, dass er bis ins Unendliche zu reichen schien.
Lidja schloss die Augen. » Ich sehe was«, sagte sie.
Angst durchfuhr Sofia wie ein Dolchstich. Plötzlich wurden all ihre düsteren Vorahnungen wirklich.
» Ich sehe einen zerstörten Ort«, sprach Lidja weiter, » nicht dieser hier, aber er sieht ganz ähnlich aus. Und … und … die Frucht! Die Frucht, Sofia! Dieser unscheinbare Anhänger ist eine Art Kompass!«
» Wir müssen hier fort«, flüsterte Sofia, ohne auf sie einzugehen.
» Das müssen römische Ruinen sein … mit viel Gras überwachsen …«
» Lidja, da stimmt irgendwas nicht …« Kalter Schweiß trat ihr auf die Stirn.
» Warte doch, verflucht!«
Aber da brach das Unheil herein. Eine Sturmbö erfasste sie, und die Luft war erfüllt von einem metallischen
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