Drachenspeise: 1 (Ein Märchen für große Mädchen) (German Edition)
presste noch immer sein Schwert gegen die Klinge von Anadids Säbel, den dieser abwehrend vor seine Brust hielt.
»Du wirst sterben! Und sie wird auch sterben!« Keuchend versuchte Anadid, sich aus der verfahrenen Situation zu befreien. Sein Arm begann unter dem Druck zu zittern. Mit einem wütenden Aufschrei sprang er nach hinten, drehte sich um seine eigene Achse und begann, wie ein Berseker auf Kana-Tu einzudreschen. Mit einem fairen Schwertkampf hatte das nichts zu tun, es war pure Raserei.
Kana-Tu wehrte die Hiebe mühelos ab oder wich ihnen tänzelnd aus. Wenn die Klingen aufeinandertrafen, stoben Funken. Es war ringsum sehr still geworden, nur ab und an hörte man aus den dichten Reihen der Zuschauer ein Stöhnen oder Seufzen.
Für einen Moment sah es so aus, als würde der Prinz die Oberhand gewinnen und den fremden Krieger mit seinen Säbelhieben vor sich hertreiben. Doch wer etwas vom Waffengang verstand, erkannte an der Leichtfüßigkeit Kana-Tus und den lässigen Abwehrschlägen, dass er nur mit Anadid spielte und ihn in Sicherheit wiegen wollte. Die beiden Kämpfer hatten inzwischen den Scheiterhaufen umrundet und waren wieder vor der Tribüne des Sultans angelangt. Stirnrunzelnd sah Werid, dass sein Sohn seine Kräfte sinnlos verausgabte, während der Herausforderer beinahe gelangweilt parierte.
Dann ging alles sehr schnell. Kana-Tu schlüpfte gebückt unter einem Hieb des Prinzen hindurch und ließ sein schweres Schwert spielerisch kreisen, als wäre es nichts weiter als ein Weidenstöckchen. Ungläubig erstarrte Anadid mitten in der Bewegung. Sein Säbel lag vor ihm im Staub der Richtstatt. Und noch immer umklammerte seine Hand das kunstvoll ziselierte Heft mit dem Smaragden am Knauf. Sein Aufschrei mischte sich mit dem anschwellenden Gebrüll der Menge. Der Prinz sackte auf die Knie und umklammerte seinen Armstumpf, aus dem jetzt das Blut im Takt seines Herzschlages spritzte.
Kana-Tu würdigte seinen Gegner keines Blickes mehr, er wandte sich dem Sultan zu und senkte vor dem Herrscher die blutige Schwertspitze zu Boden, bevor er die Waffe wieder in ihre Scheide gleiten ließ.
»Lasst Ihr das Mädchen jetzt frei, oder muss ich den Prinzen erst töten?«
Werid reagierte nicht. Als wäre er dem Blick des Basilisken begegnet, starrte er reglos auf seinen sich vor Schock und Schmerz krümmenden Sohn. Es war Inared, der dem Henker zurief, dass er die Fesseln Janicas lösen sollte.
»Wo ist dieser vermaledeite Medikus? Bringt ihn sofort her! Er soll einmal in seinem Leben etwas Vernünftiges tun!«, fluchte der alte Mann und drängte sich durch den vor Entsetzen gelähmten Hofstaat der Tribüne. Als er den Boden erreichte, sah er, dass sich Kana-Tu über Anadid beugte.
»Nein, bringt ihn nicht um!«, krächzte er heiser und atemlos und trippelte so hastig es seine alten Beine zuließen, auf die beiden Männer zu.
»Ich hätte nicht übel Lust dazu!«, sagte Kana-Tu und richtete sich auf. Anadids Blut hatte sein Gesicht und sein Brust besudelt, es sah aus, als hätte der Krieger aus einem anderen Land, aus einer anderen Zeit, eine archaische Kriegsbemalung aufgelegt.
Der Ehrwürdige Ratgeber registrierte erleichtert, dass der Prinz noch am Leben war. Mit irren Augen blickte er auf zu seinem Mentor und bewegte tonlos die Lippen. Kana-Tu hatte den Kaftan Anadids zerrissen und mit den Fetzen eine Aderpresse und einen notdürftigen Verband angelegt.
»Wenn Ihr einen guten Arzt habt, wird er das überleben!« Kana-Tus Stimme klang gleichgültig. Er stieß einen leisen Pfiff aus. Der Schimmelhengst spitzte die Ohren und hob den Kopf. Erst nach einem zweiten Pfiff setzte sich das Ross in Bewegung und trabte zu seinem Herrn. Kana-Tu griff mit beiden Händen in die Mähne des Tieres und schwang sich auf seines Rücken. Er lenkte das Pferd auf die Leiter am Scheiterhaufen zu und sah mit einem leichten Kopfschütteln nach oben. Der Henker hatte die Gefangene von den Schellen an dem Holzpfahl befreit und stand nun unbewegten Gesichts neben Janica. Noch immer hockte die Taube auf ihrer Schulter.
»Willst du dort oben bleiben?« Kana-Tu streckte einen Arm aus. Endlich bewegte sich die junge Frau, unsicher griff sie nach den Leiterholmen und stieg nach unten. Sie spürte, wie sich der starke Arm des Schwertkämpfers um ihre Taille schob und sie regelrecht von der Leiter abpflückte. Noch mehr aber spürte sie die Krallen des Vogels, die sich durch den dünnen Seidenstoff in ihre Haut bohrten.
Als
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