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Drachenspeise: 1 (Ein Märchen für große Mädchen) (German Edition)

Drachenspeise: 1 (Ein Märchen für große Mädchen) (German Edition)

Titel: Drachenspeise: 1 (Ein Märchen für große Mädchen) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Alderwood
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Vorstellung!
    Ganz in solcherart Gedanken vertieft, bemerkte Janica fast gar nicht, dass der Henker sie zu dem Pfahl schob und ihre Handgelenke in zwei eigens zu diesem Zweck im Holz verankerten Eisenschellen fixierte. Plötzlich klatschte dem Mann etwas Weißes, Gefiedertes ins Gesicht. Erschrocken stolperte er nach hinten und wäre fast von dem Holzstoß gestürzt. Die Taube flatterte einige Runden um den Pfahl und ließ sich dann auf Janicas Schulter nieder. Mit dem Schnabel zerrte sie an dem Schleier auf dem Kopf der Frau, der dem Vogel offenbar im Wege war.
    »Halt!«, heulte der Priester unten vor dem Podest des Sultans auf und richtete sich  mit einer für seine Leibesfülle erstaunlichen Geschmeidigkeit auf.
    »Haltet ein!«, brüllte er. »Das Urteil darf nicht vollstreckt werden, so lange die Taube auf der Zauberin sitzt! Ein weißer Vogel ist stets ein Zeichen der Götter!«
    Der Scharfrichter hob ratlos seine Arme mit nach oben gestreckten Handflächen an. Nur Janica hörte, was er murmelte: »Ich werde den Scheiterhaufen wohl kaum anzünden, so lange ich selbst noch obenauf stehe!«
    Anadid sprang schon wieder von seinem Sessel auf.
    »Henker, jage das Vieh endlich weg!«
    Der Sultan schüttelte nur schweigend den Kopf. Er hatte durchaus wahrgenommen, dass das Raunen der Menschenmenge ringsum lauter und lauter wurde.
    Janica spürte, wie der Vogelschnabel sanft an ihrem Ohr zupfte.
    »Kana-Tu, wenn du das bist, dann sage ich dir, dass es eine ganz blöde Idee ist, mir ausgerechnet in Gestalt einer Taube beistehen zu wollen! Oder willst du dich nur verabschieden?«, zischelte sie dem Vogel zu.
    Die Taube gurrte und plusterte sich auf. Sie machte keine Anstalten, davonzufliegen. Dann sah Janica den Reiter. Von ihrem unfreiwilligen Tribünenplatz aus hatte sie eine gute Aussicht über die versammelte Menschenmenge hinweg. Aus der Richtung des kahlen Ödlandes trabte ein stattliches weißes Ross auf die Richtstatt zu. Der Mann auf dem Pferderücken kam Janica vage bekannt vor.

45.Kapitel: Das Gottesurteil
     
    Die Leute wichen vor den mächtigen Pferdehufen zurück, und manch einem der potentiellen Hinrichtungs-Gaffer klappte förmlich die Kinnlade herunter ob des martialischen Anblickes, den der Reiter darbot. Selbst die Reisigen, die die Menge mit ihren Hellebarden in Zaum hielten, gaben beeindruckt den Weg frei.
    Natürlich hatte noch niemand auf der Insel einen Krieger aus den rauen Bergen des Nordens gesehen. Kana-Tu hatte sich Federn des Seeadlers in sein blauschwarzes Haar geflochten, seine Beine steckten in engen ledernen Beinlingen, die Stiefel waren mit Fransen und Stickereien verziert. Der breite Gurt des Schwertgehenks zierte die ansonsten nackte Brust des Mannes. Offenbar hatte sich Kana-Tu die Haut mit Öl eingerieben, denn sie glänzte leicht über dem Spiel der kräftigen Muskeln darunter. Er ritt ohne Sattel, es schien, als wäre er mit dem Hengst verwachsen, den er ganz gemächlich vor die Tribüne des Herrschers lenkte.
    Er neigte leicht den Kopf. Seine gelbbraunen Augen richteten sich auf den Sultan.
    »Gebieter des Wasserlandes! Ich fordere, die Götter über diese Frau dort auf dem Scheiterhaufen richten zu lassen! Mein Schwert wird ihre Unschuld beweisen!« 
    Werid Gur Waradem schien sprachlos. Keiner seiner Untertanen war ihm je so respektlos begegnet! Ihm kam der Gedanke, dass der unverschämte Reiter offenbar kein Bewohner der Insel war. Er winkte den Ratgeber Inared mit einer knappen Geste zu sich. Mit einem gequälten Ächzen beugte sich der alte Mann zu seinem Sultan nieder.
    »Was will dieser Kerl? Soll ich ihn von den Wachen töten lassen?«, flüsterte der Sultan ihm zu.
    Hastig schüttelte Inared den Kopf, wobei sein dünner Bart dem Sultan über das Gesicht wuschte.
    »Nein, mein Gebieter, das wäre nicht ratsam. Seht, die Leute werden unruhig, sie haben diese Taube als göttliches Zeichen gesehen und beginnen an der Schuld des Mädchens zu zweifeln. Außerdem hat der Mann recht. Die Gesetze besagen, wenn ein Krieger sein Leben im Zweikampf für einen zum Tode Verurteilten einsetzen will, darf ihm das nicht verwehrt werden. Siegt er, gehört der Delinquent ihm. Verliert er, sterben beide.«
    »Davon habe ich noch nie gehört!«, mischte sich Anadid empört ein. »Herr Vater, gebt den Bogenschützen ein Zeichen, den Eindringling mit ihren Pfeilen zu durchbohren! Und dann lasst uns endlich den Scheiterhaufen entzünden!«
    »Still!«, fuhr Werid seinen Sohn an. »Der

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