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Drachenspiele - Roman

Titel: Drachenspiele - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blessing <Deutschland>
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eindeutig wie die der Ärzte in Yiwu. Waren sie am Ende angelangt?
    Da Long blieb stehen, holte mehrmals tief Luft, hielt inne und horchte. Nicht einmal das Rauschen der Autobahn war mehr zu vernehmen. H-o-f-f-n-u-n-g-s-l-o-s. Die Stille im Raum trog, er hörte es ganz deutlich. Tisch und Stühle, Wände und Sofa hatten zu sprechen begonnen und flüsterten immer nur das eine Wort: H-o-f-f-n-u-n-g-s-l-o-s.
    Er war dabei, den Verstand zu verlieren. Er hörte Stimmen, wo keine waren, selbst zu stottern hatte er wieder angefangen. Er ging zu Min Fang, fühlte mit seinen Lippen auf ihrer Stirn, ob sie Fieber hatte, löste die beiden Tabletten gegen die Krämpfe, die sie jeden Abend nehmen musste,
in etwas Wasser auf und flößte sie ihr in winzigen Schlückchen ein. Er suchte im Stapel der CDs nach etwas Passendem und legte den zweiten Satz von Schuberts Streichquintett in C-Dur auf. Eines ihrer Lieblingsstücke, Yin-Yin hatte es kurz nach der Erkrankung ihrer Mutter mit vier Kommilitonen für sie eingespielt. Da Long schob seine Frau vorsichtig ein wenig zur Seite, legte sich zu ihr, löschte das Licht und stellte den CD-Spieler an. Bei den ersten Tönen von Yin-Yins Violine kamen ihm bei dieser Aufnahme jedes Mal die Tränen. So hatte er sie noch nie musizieren gehört. Auch wenn er nicht der Musikexperte in der Familie war, bemerkte er doch den Unterschied in ihrem Spiel. Ihr Strich war so zart, die Töne kamen aus einer so unergründlichen Tiefe und mit solcher Macht, dass Da Long kaum zu atmen wagte. Es klang, als hätte seine Tochter bereits damals geahnt, welchen Verlauf die Krankheit nehmen würde. Als spiele sie mit all ihrer Kraft gegen das langsame Sterben ihrer Mutter an.
    Er hörte ein leises Stöhnen neben sich. Hatte sie Schmerzen oder wollte sie ihm etwas sagen? Es klang, als bemühe sie sich, tief in ihrem Rachen etwas zu summen. Wie konnten die Ärzte behaupten, in ihr brenne kein Licht? Nur weil irgendwelche Geräte Wellen zeichneten, die nicht denen von Gesunden entsprachen. Na und? Als ob das Innenleben eines Menschen wirklich messbar wäre. Als ob wir, was im Gehirn, im Herz, in seiner Seele geschieht, in Zahlen, Diagrammen oder Tabellen ausdrücken könnten. Was wissen die Gesunden schon über die Welt, in der die Kranken leben? Was die Sehenden über die Blinden? Die Satten über die Hungrigen? Was wissen wir über uns?
    Da Long schob seinen Kopf behutsam zwischen ihre Schulter und ihren Hals. Sie hatte begonnen anders zu riechen. Der ganz typische, leicht süßlich herbe Min-Fang-Duft,
neben dem er fast vierzig Jahre jeden Abend eingeschlafen und jeden Morgen aufgewacht war, begann sich zu verflüchtigen. Sie wird zu einer Gesellin des Todes, dachte Da Long. Mit jedem Atemzug ein Stückchen mehr, ohne dass er es aufhalten konnte. Min Fang wird, was sie nie sein wollte. Sie hat das Harte und Starke verabscheut, sich mit aller Kraft dagegen gewehrt und ihre Kinder dazu erzogen, es ihr gleichzutun. Wie sehr er sie liebte! Warum konnte sie ihm trotzdem entgleiten wie ein Häufchen Sand, das durch die Hände rieselt, egal, wie fest er auch zupackte? Weshalb konnte seine Liebe sie nicht heilen? Etwas anderes hatte er nicht. Warum war das nicht genug? Er wollte sie festhalten, sich an sie klammern. Diese Frau, der er alles verdankte.
    Sie hatte ihn zu einem Gesellen des Lebens gemacht.

IX
    Xiao Hu war kein Mensch, der sich mit schlechten Nachrichten lange aufhielt. Er empfand sein Leben als zu kurz und zu schnell, seine Zeit als zu kostbar, um ihnen lange nachzuhängen. Er war der Meinung, wer sich auf Probleme fokussiert, sieht überall Probleme, wer sich auf Lösungen konzentriert, sieht Lösungen. Ähnlich verhielt es sich mit guten und schlechten Nachrichten. Nach seiner festen Überzeugung war diese Einstellung einer der Gründe, weshalb er in den vergangenen Jahren von negativen Ereignissen und Einflüssen so gut wie verschont geblieben war und das auch in Zukunft bleiben würde. Mit zwei Ausnahmen. Eine davon war die Erkrankung seiner Mutter.
    Was sein Freund, der Neurologe Zhou, ihm aus Yiwu berichtet hatte, war zwar nicht überraschend gewesen, trotzdem hatte ihn die Diagnose getroffen, und es gelang ihm nicht, sie wenigstens für ein paar Stunden aus seinem Gedächtnis zu löschen. Mama war verloren. Das Licht in ihr erloschen. Sie würde nicht mehr zurückkommen.
    Xiao Hu saß im

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